Berliner Morgenpost: Kommentar - Es wird wieder spannend im Roten Rathaus
Berlin (ots)
Für Klaus Wowereit brechen härtere Zeiten an. Er kann sich nicht länger aufs Beobachten aus erhöhter Position und die eine oder andere Großankündigung beschränken. Jetzt, da die Mehrheit der rot-roten Koalition weiter schwindet, muss er die politische Alltagsarbeit endlich ernster nehmen. Nur noch eine Stimme mehr als die Opposition haben die Roten. Und selbst diese eine ist eine ziemlich unwägbare, da auch noch ein Abgeordneter der Linkspartei auf dem Sprung ist. Wohin ist ungewiss. Sicher ist dagegen: Nach Jahren des Dahindämmerns (die Rarität Thilo Sarrazin ausgenommen) wird es in der Berliner Landespolitik endlich wieder spannender. Dass eine Abgeordnete aus der SPD verbittert zu den Grünen übergelaufen ist, dazu ausgerechnet die im Parlament für Frauenfragen zuständige Abgeordnete, wirft ein düsteres Licht auf Partei und Fraktion der Sozialdemokraten. Canan Bayram hat in ihrer Begründung für den Wechsel des Parteibuchs eine Arroganz der Macht einer altgedienten Führungsriege mit Klaus Wowereit und Fraktionschef Michael Müller durchblicken lassen, die längst auch andere jüngere Abgeordnete verärgert. Solange die rot-rote Koalition beisammen bleibt, wird fortan jede Abstimmung im Abgeordnetenhaus für sie zu einer Zitterpartei. So aber kann Berlin mit seinen erheblichen Problemen von der Integrationspolitik über die Wirtschaftschwäche bis zur neuen Welle der Gewalt in den nächsten Jahren auch nicht halbwegs erfolgreich regiert werden. So eine hauchdünne Mehrheit, die eigentlich gar keine mehr ist, wird zusätzlich bedrohlich, wenn der Koalition auch noch die letzten vorzeigbaren Senatoren abhanden kommen. Erst lässt sich Sarrazin zur Bundesbank befördern. Und nun erweist sich auch noch der bislang als erfolgreich eingestufte Innensenator Ehrhart Körting als Schwachstelle. Der Vorwurf, er habe die Gewaltbereitschaft an diesem 1. Mai unterschätzt und Polizeibeamte deshalb der "Steinigung" ausgesetzt, wird noch lange auf ihm lasten. Fragen lassen muss sich seine Partei, die SPD, zudem, wie lange sie mit einem Partner weiter koalieren will, der in Teilen gezielt zur Gewalt und zur Anstiftung von sozialen Unruhen aufruft. Für die SPD, insbesondere für Klaus Wowereit, war dies ein schwarzer Montag. Er wird wohl Regierender bleiben, weil er derzeit keinen Gegner fürchten müsste. Die Mehrheit schwindet, eine neue ist denkbar, aber noch eher unrealistisch. Zu tief sitzt bei den Grünen weiter die Demütigung durch Wowereit, als dieser sie 2006 als Koalitionspartner hat kalt abblitzen lassen. Ihr Preis, jetzt für die Linkspartei einzuspringen, wäre wahrscheinlich ein zu hoher für die SPD. Zumindest eine Variante, wieder klare Mehrheiten zu finden, liegt nicht allzu fern: Neuwahl zusammen mit der Bundestagswahl. Wowereit bräuchte sich um sein Amt als erneut Regierender wohl auch in diesem Fall keine Sorge zu machen. Beim Zerbrechen der Linkskoalition wäre allerdings sein insgeheim eingeplanter nächster Karrieresprung wohl gefährdet: erster Kanzler einer rot-roten Bundesregierung zu werden.
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