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Berliner Morgenpost: Auf dem Weg in die nukleare Anarchie - Kommentar

Berlin (ots)

Vorgestern früh registrierten Erdbebenstationen in
Ostasien eine Erschütterung auf ihren Bildschirmen, die nur von einer
unterirdischen Atomexplosion kommen konnte. Die Bestätigung aus 
Nordkorea ließ nicht lange auf sich warten. Mit Triumph in der Stimme
verkündeten die Militärs ihren neuesten Sieg.
Wir werden Zeugen, wie Weltordnung zerfällt: Atommacht für Atommacht,
Explosion für Explosion, Rakete für Rakete. Dabei sind die großen 
"Permanent Five" des Sicherheitsrats, völkerrechtlich die einzig 
legitimen Atommächte, kaum mehr als hoch besorgte Zuschauer, nicht 
anders als der Rest der Welt.
Auch dem großen roten Drachen in Peking kann es nicht gleichgültig 
sein, wenn der kleine rote Drache nebenan nukleares Feuer spuckt. 
Denn Nuklearwaffen sind unerbittliche Gleichmacher, und ihre Wirkung 
kommt, auch ohne dass eine einzige Nuklearwaffe im Zorn gezündet 
wird, aus ihrer düsteren Präsenz.
Das gilt noch mehr, wenn es sich wie bei Nordkorea um ein Land 
handelt, das - undurchsichtige Tyrannei - hochgerüstet ist und 
bettelarm.
Der erste Gefechtskopf war im Oktober 2006 gezündet worden. Damit die
Nachbarn das Fürchten lernten, folgten zeitversetzt Mittel- und 
Langstreckenraketen. Zuletzt eine Fernrakete mit mehreren Tausend 
Kilometern Reichweite - bis Australien und Guam, aber auch tief nach 
Russland und China, von Japan nicht zu reden, wo mit größter 
Beschleunigung an der Abwehr gearbeitet wird - wahrscheinlich 
eingeschlossen nukleare Entwicklung bis kurz vor der letzten 
Schraubenzieherdrehung.
Kein Wunder, dass die Welt das Schlimmste fürchtet. China, die USA, 
Russland, Japan und Südkorea haben am sechseckigen Tisch in Peking 
über bald ein Jahrzehnt versucht, die Nordkoreaner zu stoppen: 
Vergeblich. Drohungen nützten so wenig wie Liebesgaben an Energie, 
Lebensmitteln, Medikamenten und zwei (!) Leichtwasserreaktoren.
Der "Liebe Führer" von Pjöngjang führt die Welt an der Nase herum - 
mit erzbösen Absichten. Vielleicht geht es zurzeit nicht um Krieg 
gegen den Süden. Eher um Erpressung großen Stils und Systemerhaltung 
gegen jeden Druck von außen, eingeschlossen China.
Auf diese Weise geht aber der Atomwaffensperrvertrag, dem von Anfang 
an Indien, Pakistan und Israel fernblieben - alle längst 
Atomwaffenbesitzer - vollends zu Bruch. Denn wo Nordkorea führt, 
werden andere folgen.
Das bipolare System des Kalten Krieges brachte den langen nuklearen 
Frieden. Was jetzt beginnt, im Fernen Osten, in Reaktion auf den Iran
und die Atomrüstung der Mullahs, kündigt jene nukleare Anarchie an, 
die John F. Kennedy mit dem Atomwaffensperrvertrag verhindern wollte.
Abschaffung aller Atomwaffen? Was die Großen und Guten verkünden, hat
wenig Erfolgschance. Die Nato wird noch für Ernsteres gebraucht als 
Flaggezeigen, vor allem Amerika. Sonst beginnt ein Zeitalter 
apokalyptischer Angst.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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