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Berliner Morgenpost: Alleinerziehende sind die Helden des Alltags

Berlin (ots)

Wahlkampf ist wie ein Jazzkonzert. Meist spielt die
Band zusammen, aber nach und nach darf jeder mal nach vorn auf die 
Bühne und ein Solo trällern. Gestern war Ursula von der Leyen dran; 
die adrette Ministerin stellte den "Familienmonitor" vor, eine vom 
Ministerium bezahlte Umfrage, wie es denn so um die Familien in 
Deutschland bestellt sei. Eigentlich wäre der Report erst im 
September an der Reihe gewesen, aber weil gerade Wahlkampf ist, 
werden die frohen Botschaften eben vorgezogen. Es gehört nicht viel 
Fantasie dazu, die Ergebnisse der Meinungsforscher zu erahnen: Gerade
in der Krise wird der Halt durch die Familie besonders hoch 
geschätzt, Elterngeld und Kinderzuschlag sind der Knaller, aber es 
gibt noch viel zu tun: Deswegen muss Frau von der Leyen unbedingt 
wiedergewählt werden.
Dagegen ist nichts einzuwenden, denn die CDU-Ministerin hat praktisch
als Einzige im Kabinett wirklich großkoalitionäre Politik gemacht. 
Sie hat teilweise Vorschläge und Ideen ihrer SPD-Vorgängerin in die 
Tat umgesetzt, die Renate Schmidt seinerzeit gegen Gerhard Schröder 
nicht durchsetzen konnte. Konsensualer ist in keinem anderen Ressort 
regiert worden, mit dem für die Sozialdemokratie unschönen 
Nebeneffekt, dass ihr ein weiteres zentrales Thema entwunden worden 
ist.
Alles schön also im Familienland Deutschland? Mitnichten. Wer die 
ersten Ergebnisse der Studie liest, könnte sogar auf den Verdacht 
kommen, dass die Entsandten von Allensbach nur dort unterwegs waren, 
wo doppelverdienende Ehepaare im geräumigen Eigenheim logieren, mit 
Kindern und Hund und Türschild aus Salzteig. Das herrschende 
Familienbild, von der Ministerin persönlich vorgelebt, orientiert 
sich dichter an den Drombuschs als an der Realität.
Fakt ist: Elterngeld macht nur Sinn, wenn auch zwei erziehen. Jedes 
zweite Berliner Kind unter 18 wächst allerdings in Umständen auf, die
dem oben gemalten Bild von Familie nicht entsprechen. Und warum ist 
bei Familie immer nur von Nachwuchs die Rede, aber nie von 
Großeltern? Die Pflege der eigenen Eltern belastet derzeit vermutlich
mehr Menschen mittleren Alters als das Kinderthema. Was sagt die 
Ministerin zur Privatisierung von Pflege und Rente, die ihre Partei 
favorisiert? Über sechs Millionen deutsche Geringverdiener können 
sich weder das eine noch das andere leisten. Zudem: Steuerklasse V 
bedeutet nach wie vor, dass meist Frauen aus dem Erwerbsleben 
getrieben werden, vor allem, wenn sie in Niedriglohnjobs arbeiten.
Familien der Mittelschicht mögen Sorgen haben - aber Eltern aus 
kleinen Verhältnissen haben massive Probleme: Selbst in einer 
preiswerten Stadt wie Berlin kommt es einer Heldentat gleich, wenn 
eine Alleinerziehende ihr Kind in geordneten Bahnen aufzieht. Fakt 
ist: Die Segnungen der neuen Familienpolitik gehen vielen Klein- und 
Kleinstverdienern vorbei. Dort aber grassieren die wahren Probleme.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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