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Berliner Morgenpost: Lehman und die Glanzparade - Leitartikel

Berlin (ots)

Wir, Sparkassenkunden und Normalwähler, haben von
diesem Beben zunächst gar nicht so viel mitbekommen, die den Globus 
so arg durchgerüttelt hat. Genauer gesagt das Finanzsystem unserer 
Erde, so etwas wie das zentrale Nervensystem der Weltwirtschaft. Ohne
Moos, das kennen wir ja auch im Kleinen, läuft wenig. Würden wir zum 
Beispiel unser ganzes Geld verleihen, auch das, was wir erst nächstes
Jahr verdienen können, und dann feststellen, dass es davon auch nicht
einen Cent zurückgibt, dann stünden wir dumm da. Weswegen wir uns 
ganz gerne absichern, privat, aber auch beruflich, gegen dieses oder 
jenes Missgeschick, damit wir am Ende nicht dastehen ohne Hemd und 
ohne Hose.
Bei der Lehman-Bank, einem seriös beleumundeten Institut, haben sie 
diesen, dem Menschen praktischerweise innewohnenden Mechanismus außer
Kraft gesetzt. Sie haben Geld, auch solches, das noch gar nicht ihres
war, verliehen ohne Ende, in der Hoffnung, mit den fälligen 
Minizinsen trotzdem den großen Reibach zu machen. Mehr und immer noch
mehr, bis es eines Tages auch für alle anderen Banken nicht mehr zu 
übersehen war, dass diese Kredite leider für immer verloren waren. 
Tür zu, Lehman kriegt nichts mehr.
So war das heute vor einem Jahr, die Bank, die ein dicker Knoten war 
in besagtem Nervensystem, kollabierte. Wenn man vorher gewusst hätte,
was dieser Kollaps bedeuten würde für die Welt, dann hätte die 
US-Regierung, noch unter Präsident Bush, womöglich doch eingegriffen 
und schon damals Millionen Milliarden ausgegeben, um Lehman am Leben 
zu halten. Auf den ersten Blick hätte das wohl den Schaden für die 
Weltwirtschaft begrenzt. Auf den zweiten, spekulativen, darf man sich
fragen, welch ein Signal es für andere Zocker rund um den Globus 
gewesen wäre, wenn Lehman Brothers durchgekommen wäre mit seinem 
Harakiri.
Drei Wochen später wussten dann auch wir, was die Stunde geschlagen 
hat. Da standen Angela Merkel und Peer Steinbrück im Kanzleramt vor 
den Kameras und gaben den verunsicherten Sparkassenkunden, die gerade
gelernt hatten, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig an den 
Bankautomaten zu gehen, eine Bestandsgarantie. Unsere Millionen 
Milliarden Spareinlagen seien sicher. Rückblickend waren die wenigen 
Sätze, die die Kanzlerin und ihr Finanzminister an jenem 
5.Oktober sprachen, die wichtigsten, auch die richtigsten 
dieser Legislaturperiode. Eine riesige, im Ernstfall natürlich 
unbezahlbare Beruhigungspille wurde da verabreicht, die vermutlich 
Schlimmes verhindert hat. Eine politische Glanzparade der 
schwarz-roten Koalition.
Andererseits, und darum muss es jetzt gehen, im Großen, wie dem 
globalen Finanzgipfel in Pittsburgh nächste Woche, erst recht im 
Klein-Klein der deutschen Wirtschaftspolitik: Es darf allmählich 
gegengesteuert werden nach diesem heftigen Griff ins Lenkrad. Die 
Vollkasko-Fantasien, die manche aus der Finanzkrise ableiten wollen, 
der Versuch, unternehmerische Risiken wie menschliche 
Charakterschwächen präventiv wegzuregulieren von einer allmächtigen 
Weltbürokratie, wäre sicher der falsche Weg, um einer immer noch 
ziemlich labilen Wirtschaft wieder Kraft zu geben.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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