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Berliner Morgenpost: Die SPD hat mit sich selbst genug zu tun - Leitartikel

Berlin (ots)

Es war abzusehen: Kaum hat Oskar Lafontaine seinen
Rückzug als Parteichef der Linken - nach wochenlangen Spekulationen -
öffentlich bekannt gegeben, beginnt die Diskussion über eine rot-rote
oder rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene. Just am gestrigen 
Sonntag veröffentlichte eine Gruppe von jungen Politikern der SPD, 
Grünen und Linken ein Papier für ein solches Bündnis. Motto: "Das 
Leben ist bunter!" Zufall ist das nicht. Andere führende 
SPD-Politiker, froh darüber, dass Lafontaine endlich weg ist, 
forderten die Linke sogleich auf, sich jetzt für einen pragmatischen 
Kurs zu entscheiden. Und die Grünen-Chefin Claudia Roth rät SPD und 
Linker fröhlich, ihr Verhältnis zu klären. Doch - gemach, gemach! - 
hier machen viele den zweiten Schritt vor dem ersten.
Die SPD muss nämlich erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen. 
Sie hat die Bundestagswahl im vergangenen Jahr verloren und ist auf 
23 Prozent abgestürzt. Danach hat sich die Partei zwar ein neues 
Führungspersonal gegeben, inhaltlich ist sie aber noch keinen Schritt
weitergekommen. Das merken übrigens auch die Wähler, von denen gerade
mal 20 bis 22 Prozent für die SPD stimmen würden, wenn am nächsten 
Sonntag wieder Bundestagswahl wäre. Es reicht eben nicht, jetzt, als 
Oppositionspartei, Hartz IV zu kritisieren oder wie die Linke "Raus 
aus Afghanistan" zu fordern.
Wie schwierig die Sache ist, demonstrieren auch die Berliner 
Sozialdemokraten, die auf ihrer gestern zu Ende gegangenen 
Klausurtagung ein Thesenpapier beschlossen haben, mit dem sie 2011 
die Abgeordnetenhauswahl gewinnen wollen. Aber allein eine Aussage 
wie: Berlin solle als "Modellstadt für das nachhaltige Zeitalter" 
weiterentwickelt werden, wird die Menschen eher abschrecken, als sie 
für die SPD zu begeistern. Und auch die Vorhaben lassen einen ratlos 
zurück, wenn man sich klarmacht, dass die SPD seit 21 Jahren 
ununterbrochen in Berlin an der Regierung ist. Nun also will sich die
SPD verstärkt um Integration kümmern, und der Regierende 
Bürgermeister Klaus Wowereit, der vor wenigen Jahren noch abfällig 
über Industriepolitik für Berlin sprach, sagt jetzt: "Wir brauchen 
eine Industrialisierung der Stadt." Nachdem er vor drei Jahren den 
demografischen Wandel in Berlin zur Chefsache machte, dann den 
Klimaschutz und kürzlich die S-Bahn, erklärt er jetzt die Integration
zu seiner Sache. Auch die Berliner SPD - in den Umfragen ebenso 
abgesackt wie die Bundespartei - scheint inhaltlich keine klare Linie
zu haben, sondern mal dies, mal das auszuprobieren.
Bevor jetzt also über Rot-Rot im Bund fantasiert wird, sollte die SPD
erst einmal an ihrem Profil arbeiten. Die Wähler wollen ernsthafte 
Antworten, nicht populistische Versprechen, wie sie bei den Linken 
üblich sind. Erinnert sei nur an Gregor Gysis Wahlkampfspruch 
"Reichtum für alle". Drängende Themen gibt es genug - vom Umgang mit 
Hartz-IV-Empfängern, der Reform der Schulen bis hin zur 
Terrorbekämpfung. Wenn die Positionen klar sind, dann lohnt auch eine
Debatte über Koalitionen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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