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Berliner Morgenpost: Es bleibt noch Zeit genug, den Fehlstart zu korrigieren

Berlin (ots)

Die Wähler haben sich am 27. September 2009 für
eine andere Koalition entschieden. Damit haben sie konsequenterweise 
die Erwartung auf einen Politikwechsel verbunden. Warum sonst wird 
eine Regierung abgewählt? Der schwarz-gelben Koalition jetzt 
vorzuwerfen, sie setze andere politische Schwerpunkte als die 
Vorgängerregierung, ist heuchlerisch. Wenn CDU, CSU und FDP also eine
grundlegende Reform unseres überkomplizierten Steuersystems, den 
Umbau des in seiner Wirkungsweise zunehmend gefährdeten 
Gesundheitssystems oder die Stärkung einer die Gesellschaft tragenden
Mittelschicht verwirklichen wollen, haben sie ein klares Mandat der 
Mehrheit der Deutschen dafür.
Wer nach der Schonfrist von 100 Tagen, von der zwar traditionell 
immer geredet wird, an die sich aber kein politischer Gegner hält, 
eine erste Bilanz zieht, muss sich - der Kürze der Amtszeit wegen - 
fairerweise mehr an Stil und Auftreten und weniger an Inhalten 
orientieren. Aber schon dieses mehr vordergründige Urteil fällt 
ziemlich fatal aus. Groß ist die verbreitete Enttäuschung über diese 
- anders als im Fall große Koalition - bürgerlichen Wunschpartner. 
Bis auf ein Gesetz, das sie mit dem Wortungetüm 
"Wachstumsbeschleunigungsgesetz" betitelte, hat diese Koalition ja 
noch nichts Konkretes auf den Weg gebracht. Sich aber bereits heftig 
darüber zerstritten, wie das eine und das andere Wahlversprechen 
umgesetzt werden soll. Dabei kracht es nicht nur zwischen den 
Parteien, sondern selbst innerhalb von CDU, CSU und FDP. Nach 100 
Tagen gemahnt diese proklamierte Wunschehe eher an eine sich der 
Zerrüttung unaufhaltsam nähernde.
Strahlende Wahlsiege scheinen zur Selbstüberschätzung und zum 
Verdrängen der politischen Realität zu verleiten. Zumal dann, wenn 
ein Partner, wie jetzt die Liberalen, vor der ersehnten Teilhabe an 
der Macht lange Jahre einflussloser Opposition durchzustehen hatten. 
Diese Erfahrung haben schon SPD und Grüne gemacht, als sie 1998 vor 
Selbstzufriedenheit über die Ablösung Helmut Kohls kaum laufen 
konnten. Sie legten einen vergleichbaren Fehlstart hin wie elf Jahre 
später Union und Liberale. Die Probleme Gerhard Schröders und Joschka
Fischers waren fast dieselben wie heute die von Merkel und 
Westerwelle: kein schlüssiges Konzept für die verkündeten 
Reformvorhaben, deshalb Dauerzwist zwischen den Koalitionären und ein
Kanzler Schröder, der zu viel moderierte und zu wenig führte.
100 Tage sind nicht viel angesichts einer 1460 Tage währenden 
Legislaturperiode. Diese Koalition hat Glaubwürdigkeit eingebüßt. 
Aber noch bleibt ihr Zeit genug, leichtfertig verspieltes Vertrauen 
zurückzugewinnen - durch überzeugende inhaltliche Reformen. Solange 
über die nur vordergründig spekuliert wird, konkret aber noch fast 
alles offenbleibt, ist für diese Koalition nichts verloren. Ihre 
Zukunft hängt nicht von Stimmungen ab, sondern von jenen Taten, die 
sie für die Zeit nach der nächsten Steuerschätzung im Mai angekündigt
hat. Dann kommt es zum Schwur.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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