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BERLINER MORGENPOST: Ein Abgang mit vielen Fragezeichen - Leitartikel

Berlin (ots)

Was ist denn das nun wieder? Deutschland taumelt im Lena-Rausch, der die Afghanistan-Einlassungen des Bundespräsidenten fast schon wieder ins Archiv gedrängt hatte, da macht Horst Köhler aus einer nahezu vergessenen Fliege eine politische Granate und erklärt seinen sofortigen Rücktritt. Dieser Vorgang ist in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartig, auch wenn Heinrich Lübke 1968 ebenfalls seinen Amtsverzicht bekannt gegeben hatte. Lübkes Rückzug erfolgte allerdings eher symbolisch, kurz vor Ende seiner zweiten Amtszeit. Ihm hatte die anhaltende Kritik an seiner Rolle als Bauleiter im Zweiten Weltkrieg zugesetzt, zudem begünstigte eine Durchblutungsstörung im Gehirn offenbar rhetorische Ausrutscher. Nun also Köhler. Ernsthaft krank scheint er nicht. Aber zutiefst verletzt - oder auch nur ziemlich beleidigt. Seinen historischen Schritt begründete er mit mangelndem Respekt vor dem höchsten Staatsamt - wessen Respekt, das hat er nicht gesagt. Vergangene Woche hatte der zukünftige Ex-Präsident in ziemlich verschwurbelter, jedenfalls aber missverständlicher Weise im Deutschlandradio auch die Sicherung von Handelswegen zur Aufgabe der Bundeswehr definiert. Das war kein Staatsakt, aber allemal unglücklich. Weder Kanzlerin noch Minister waren dem Staatsoberhaupt beigesprungen, während die Opposition genüsslich von Kanonenbootpolitik und Grundgesetzesbruch sprach. So einsam war selten ein Präsident, und die Kanzlerin hat diese, seine Demütigung billigend in Kauf genommen. Es darf von einer Staatskrise gesprochen werden, wenn die Kommunikation zwischen Kanzleramt und Präsidentenschloss, Luftlinie ein guter Kilometer, offenbar derart gestört ist, dass sich der Präsident zu einem solch ungewöhnlichen Schritt veranlasst sieht. Eindeutig ist der Rücktritt zuerst an die Adresse der Bundeskanzlerin gerichtet. Nun rächt sich, dass die damaligen Oppositionsführer Westerwelle, Stoiber und eben Merkel 2004 einen Präsidentschaftskandidaten erfunden haben, der weniger inhaltlichen als vielmehr strategischen Kriterien genügte, weil er unpolitisch und mithin ungefährlich war. Wolfgang Schäuble wäre der richtige Kandidat gewesen, aber Köhler war der machtpolitisch wichtigere. Köhlers Knall hat demnach weniger mit der kurzfristigen Causa Afghanistan zu tun als vielmehr mit der langfristigen Instrumentalisierung durch die Tagespolitik, von der Vorgänger Johannes Rau schon nicht frei war. Als Mitglied der merkelschen Boygroup, die ergeben nach dem Taktstock der Chefin tanzt, war sich Köhler zu schade. So ist sein Schritt auch als Akt der Selbstachtung zu verstehen. Er hatte keine Lust mehr, eine Figur im Spielchen der Regierung darzustellen. Dennoch: Köhler hat sich und dem Amt mit seinem Rücktritt keinen Gefallen getan. In jenem inkriminierten Interview hatte er begrüßt, dass in Deutschland über den Afghanistan-Einsatz "immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird". Ebenso skeptisch und mit Fragezeichen darf man auch über den Präsidenten und seine Sätze diskutieren. Nicht jede Kritik, oder unterlassene Hilfeleistung, bedeutet automatisch mangelnden Respekt. Ein Präsident muss Debatten aushalten, selbst wenn sie mal eine Weile gegen ihn laufen. Zumal der Redner Köhler auch nicht nur mit Wattebäuschen warf, sondern manches rhetorische Monster zum Zwecke des medialen Aufruhrs gebar. Es liegt nahe, dass das verunglückte Statement nur ein Vorwand war, um sich aus einem Amt zurückzuziehen, das offenbar eine Nummer zu groß war für den politischen Beamten Köhler. Seine Rolle als mahnender Mittler zwischen Politik und Volk hat er nie gefunden, sich stattdessen bisweilen anbiedernd auf den erstbesten naheliegenden Standpunkt gestellt. Moralische, intellektuelle oder emotionale Führung ist Köhler nur selten gelungen, weder nach außen und schon gar nicht ins Schloss Bellevue hinein. Heerscharen von Mitarbeitern verließen das Präsidialamt, wo Köhler auch mal unwirsch regiert haben soll. Er war ein unbequemer Präsident, aber eben nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. Was bleibt, ist das Befremden, mit welcher Leichtigkeit sich der höchste Repräsentant des Landes aus dem Staub macht. Mit der von ihm selbst so hoch geschätzten Verantwortung ist es bei Köhler selbst offenbar nicht so weit her. Die eigene Befindlichkeit siegt über den Pflichtmenschen. War dem freiwilligen Abschied der Bischöfin Käßmann noch Respekt zu zollen, war der Rücktritt von Roland Koch noch nachvollziehbar, so löst Köhlers übereiliger Schritt vor allem Unverständnis aus. Fakt ist: Nicht die öffentliche Debatte hat das Amt beschädigt, sondern Köhler selbst, mit seinem Entschluss, seinen Posten so leichtfertig aufzugeben. Andererseits: Besser, er geht jetzt, als dass seine mangelnde Krisenfestigkeit in einer wirklich heiklen Situation zutage tritt. Die Aufgabe für eine ohnehin gebeutelte Kanzlerin besteht nun darin, einen Kandidaten aus dem Hut zu zaubern, der die komplexe Gemengelage im Land repräsentiert und den Eindruck zerstreut, die Kanzlerin habe ein wachsendes Team-Problem: Kommt Koch, Wulff, Stoiber, Rüttgers oder am Ende doch Schäuble? Das wiederum ist das Beruhigende an diesem Rücktritt: Köhler hat noch nicht mal seine Umzugskartons aus dem Schloss gewuchtet, da geht die nächste Postendebatte schon los. Ein stabiles System, dieses Deutschland.

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