BERLINER MORGENPOST: Kommentar zur Schuldfrage bei der Love-Parade-Katastrophe
Berlin (ots)
Die Loveparade feierte die Leichtigkeit des Seins. Ein Festival jugendlicher Lebensfreude, gegen niemanden gerichtet, ohne hehres Ziel oder ideologischen Überbau, friedlicher als manches Fußballspiel. Es endete mit Toten und Verletzten. Ausgerechnet diese harmlose Massenparty forderte mehr Opfer, als Terroranschläge oder die vielen gewalttätigen Demonstrationen, die dieses Land schon erlebt hat. Es bleiben nur Fassungslosigkeit, Trauer und Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen. Die Entscheidung der Veranstalter, dass es nie mehr eine Loveparade geben soll, ist die einzig richtige. Hätte man durch bessere Organisation und umsichtigere Vorbereitung die Katastrophe verhindern können? Nachher ist man immer klüger. Und jetzt einen eindeutig Schuldigen zu haben, wäre einfacher, als sich mit einer zufälligen Verkettung unheilvoller Ereignisse abzufinden. In der Rückschau auf die Berliner Love-Parade, war die Nähe zum Tiergarten wohl ein lebensrettendes Sicherheitsventil. Wegen des vielen Mülls, der im Park zurückblieb, wurde sie immer wieder heftig kritisiert. Doch durch die Rasenflächen des Tiergartens hätte eine tödliche Kesselsituation wie in Duisburg kaum entstehen können. Aber auch dies gehört zu den Danach-Erkenntnissen, die nun niemandem mehr helfen. Panik ist nicht vorhersehbar und berechenbar. Sie ist ein durch und durch irrationales massenpsychologisches Phänomen. Das sich - wie in diesem Fall - in Windeseile ausbreiten kann, auch ohne dass Feuer oder eine andere Gefahr droht, vor der alle fliehen wollen. Die nackte Angst, ausgelöst durch die drängende Menschenmasse. Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland appelliert zu Recht, keine voreiligen Schuldzuweisungen zu treffen. Doch seine Behörden und die Organisatoren werden sich vielen unbequemen Fragen stellen müssen. War das Gelände für die über eine Million Menschen zu klein? War es unverantwortlich, den Zugang durch einen einspurigen Tunnel zu leiten? Stimmt es, dass Besucher, die auf eine Autobahnböschung ausweichen wollten, von der Polizei in den Tunnel zurückgeschickt wurden? Im Internet kursieren begründete Warnungen, die schon vor Wochen auf den Leserkommentarseiten nordrhein-westfälischer Medien erschienen sind. Da sagten Leser, die offenbar mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sind, eine Katastrophe voraus. "Ich sehe schon Tote", schrieb einer. Man kann einwenden, dass vermutlich vor allen Großereignissen irgendjemand den Teufel an die Wand malt. Die Genauigkeit, mit der das eingetretene Chaos vorausgesagt wurde, macht jedoch nachdenklich. Man sollte den Ermittlungsbehörden die nötige Zeit für die Aufklärung zugestehen. Kurz nach solchen schrecklichen Ereignissen kursieren stets Mutmaßungen und Gerüchte. Und oft stellt sich später heraus, dass alles ganz anders war, als es der erste Anschein nahe legte. Die schnellen Richter sind nicht die besten.
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