BERLINER MORGENPOST: Jochim Stoltenberg über die angeblich schlechte Verwaltung in Berlin
Berlin (ots)
Geht es nun wieder los - das Berlin-Bashing wie schon einmal zu Beginn dieses Jahrtausends? Bundesweit wird über die Blamage mit dem Willy-Brandt- Flughafen gespottet, die Kulturszene des Landes empört sich über die Verbannung der alten Meister aus der Gemäldegalerie - und nicht allein die Bayern klagen über ihre Transferzahlungen mittels Länderfinanzausgleich an die wie die Griechen über ihre Verhältnisse lebenden Berliner. Da ist der neu belebten Anti-Berlin-Stimmung eine Umfrage in dieser Woche gerade recht gekommen, nach der die Hauptstadt der Deutschen die schlechteste Verwaltung der 15 größten Städte des Landes habe. Nun wird sich kaum ein Berliner zu der Behauptung versteifen, unsere Behörden seien ein Ausbund an Schnelligkeit, Freundlichkeit oder Effizienz. Der frühere Finanzsenator Sarrazin mokierte sich einst gar über "bleich und übelriechend herumlaufende Beamte". Doch man tut den weiblichen wie männlichen Beamten und Angestellten Unrecht, sie in Gänze mit der Note "Sechs" zu bewerten, wie es die Umfrage im Auftrag des Wirtschaftsmagazins "Focus Money" getan hat. Das Magazin sitzt in München. Die Stadt, die es bekanntlich nicht immer gut mit Berlin meint. Und ob, wie behauptet, die Umfrage wirklich repräsentativ ist, daran sind mehr als gelinde Zweifel erlaubt. In der ganzen Republik hat das Institut "Service Value" (vorher nie davon gehört) 2.806 Menschen befragt, umgerechnet auf die 15 Städte also im Schnitt 200, in der 3,3-Millionen-Metropole Berlin sogar 238, pro Bezirk ganze 20 Personen. Da ist es ganz schön kühn, von einer Stichproben-Befragung mit allgemeingültiger Aussagekraft zu reden. Eher eine Zufalls-Umfrage. Nehmen wir sie also nicht allzu ernst. Die Erfahrung des einzelnen Bürgers mit seinen öffentlich rechtlichen Dienstleistern ist ja ohnehin eine sehr individuelle. Auch deshalb, weil sich der Durchschnitts-Berliner allenfalls zwei Mal im Jahr, so die Statistik, zu einer Behörde aufmacht. Dass er dann in einigen wie der Kraftfahrzeugbehörde, dem Sozialamt oder dem Bürgeramt länger als ihm lieb ist warten muss, hat zweifellos auch mit dem ziemlich rigorosen Personalabbau seit der Wende zu tun. Das mindert im konkreten Fall den persönlichen Verdruss nicht. Aber hoffentlich ermuntert es den Senat, wenn er denn schon kein Geld für mehr Beamte hat, endlich dazu, den Vorschriftendschungel zu lichten. Das würde viele Gänge zum Amt ersparen. Das Saarland hat an der Jahrtausendwende zwei Drittel aller Vorschriften gestrichen. Es hat dem Land kein Chaos gebracht, sondern es bürgerfreundlicher gemacht. Wann, wenn nicht in einer großen Koalition wie dieser, machen Senat und Bezirke endlich gemeinsam aus der Not eine Tugend. Eine, die sogar Berlin bezahlen kann, weil sie nichts kostet. Nur Mut. Im Übrigen - ganz so schlimm, wie behauptet, kann der Zustand der Stadtverwaltung auch deshalb nicht sein, weil es immer mehr Menschen und Unternehmen hierher zieht. Bei der Auswertung der Umfrage hat sich doch nicht etwa Neid ob der Attraktivität Berlins eingeschlichen?
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