"Berliner Morgenpost": Provozieren um jeden Preis - Leitartikel von Jessica Hanack zur "Letzten Generation"
Berlin (ots)
74 Jahre ist es her, dass das Fundament unserer heutigen Demokratie in Deutschland beschlossen wurde. Am 8. Mai 1949 - dem vierten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands - hat der Parlamentarische Rat das Grundgesetz mehrheitlich verabschiedet. Und jetzt, einen Tag bevor sich dieser Beschluss jährt, haben Aktivisten der Letzten Generation das Berliner Grundgesetz-Denkmal erneut beschmiert. Mit roter Farbe haben sie auf dem Kunstwerk am Deutschen Bundestag unter anderem einen der Werte übermalt, auf den sie sich selbst bei ihren Protesten stützen: die Versammlungsfreiheit, Artikel 8. Ein Widerspruch, der den Eindruck verstärkt, dass es den Mitgliedern der Letzten Generation gar nicht mehr um Inhalte, um ihre Forderungen für den Klimaschutz geht, sondern nur darum zu provozieren und Aufmerksamkeit zu erzielen.
Bei ihrer aktuellen Farbattacke auf die Installation des israelischen Künstlers Dani Karavan beriefen sich die Klimaaktivisten ebenfalls auf einen Artikel im Grundgesetz. Darin heißt es, der Staat schütze "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere". "Ein wirklicher Plan gegen den Klimakollaps fehlt. Jeder Tag der Untätigkeit schreibt weitere Tote fest", erklärte die Letzte Generation weiter.
Man kann kritisieren, dass ein entschiedener Plan gegen das Voranschreiten des Klimawandels fehlt. Zu fordern, dass mehr getan wird, ist ein berechtigtes Anliegen, das von vielen geteilt wird. Dennoch rechtfertigt es nicht, die deutschen Grundrechte zu beschmieren. So löst man keine Debatte darüber aus, ob der Klimaschutz von der Regierung ernst genug vorangetrieben wird, sondern nur darüber, ob die Letzte Generation eigentlich verstanden hat, welche Bedeutung diese elementaren Grundsätze unseres Zusammenlebens haben - historisch und in der aktuellen Zeit.
Noch fraglicher ist, welcher Bezug bei dieser Art des Protests zu den Forderungen der Klimaaktivisten besteht. Als einen der zentralen Punkte geben sie ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket an. Ja, das gibt es nicht mehr, seit diesem Monat aber das Deutschlandticket. Das ist zwar teurer, als von der Letzten Generation gefordert, hat aber dennoch den Fahrkartenpreis insbesondere für Pendler deutlich gesenkt. Zumal zu einer Verkehrswende eben mehr gehört als ein günstiges Ticket. Am Ende zählt vor allem der Ausbau des Angebots - der auch bezahlt werden muss und umso stockender vorankommen könnte, je höher die Subventionen für ein Ticket ausfallen. Und auch wenn 49 Euro nicht neun Euro sind, bewegt sich etwas. 90.000 neue Abonnenten haben die Verkehrsunternehmen in Berlin und Brandenburg durch das Deutschlandticket bislang hinzugewonnen. Eine Zahl, die hoffen lässt, dass zumindest einige Autofahrten in der Region künftig durch den öffentlichen Nahverkehr ersetzt werden. Bekommen die Klimaaktivisten solche Erfolge überhaupt mit?
Erwartbar ist, dass die Letzte Generation in dieser Woche auch ihre Blockaden auf Berlins Straßen fortsetzen wird. Ebenso erwartbar ist, dass genervte Autofahrer erneut mit - natürlich ebenfalls rechtswidriger - gewalttätiger Gegenwehr reagieren werden. Aufmerksamkeit ist den Klimaaktivisten so sicher. Aber indem sie den Kampf gegeneinander auf Berlins Straßen provozieren, verspielen sie zunehmend die Chance auf einen gemeinsamen Kampf für das Anliegen, um das es doch eigentlich gehen soll: den Klimaschutz.
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