Berliner Morgenpost: Retten, was zu retten ist
Leitartikel von Theresa Martus
Berlin (ots)
Der Urlaub endete auf Matratzenlagern in Turnhallen oder tagelang wartend am Flughafen. Das hatten von den Reisenden, die in den vergangenen Tagen auf Rhodos evakuiert wurden, wohl die wenigsten geahnt. Notfallunterkünfte statt Erholung am Pool, Sorge um Familie, Freunde und den Besitz bei den Einheimischen. Retten, was zu retten ist, in aller Eile.
Die Unsicherheit und die Angst, vor riesigen Bränden fliehen zu müssen, sollte niemand erleben müssen. Es ist der Arbeit der griechischen Einsatzkräfte, dem Einsatz der Zivilbevölkerung und auch purem Glück zu verdanken, dass die Feuer in Griechenland bis jetzt noch nicht zahlreiche Menschenleben gekostet haben.
Individuell mag mit der Katastrophe kaum jemand gerechnet haben. Doch überraschend kommt sie nicht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen seit Langem, dass der Mittelmeerraum zu den Regionen gehört, die am härtesten von der Klimakrise getroffen werden.
Die Feuer sind der vorläufige schlimme Höhepunkt eines Sommers, in dem Südeuropa unter einer Hitze leidet, die immer wieder Rekorde bricht. Es sind Temperaturen, die ohne den menschengemachten Klimawandel "nahezu unmöglich" gewesen wären, das zeigt eine Analyse der Forschungsgruppe World Weather Attribution (übrigens auch für die USA und China, die ebenfalls unter extremer Hitze leiden).
Gleichzeitig sind die Bilder aus Griechenland eine Vorschau auf die kommenden Jahre. Denn Hitze und Trockenheit, die Voraussetzungen für solche Feuer, werden in Südeuropa zunehmen, sagt der jüngste Bericht des Weltklimarats. Der Mittelmeerraum als Sehnsuchtsort, der Bilder von unbeschwerten Sommern hervorruft, ist im Begriff zu verschwinden.
Über die Tragödie hinaus werfen die Feuer auch ein grelles Licht auf die gesellschaftlichen und politischen Prioritäten der vergangenen Monate in Deutschland. Da schien es bei einigen Akteuren keinen größeren Ausdruck individueller Freiheit zu geben als den Besitz eines beheizten Pools, da war es dem Chef eines CDU-Landesverbands nicht zu peinlich, von einer "Energie-Stasi" zu sprechen, als es darum ging, eine Datengrundlage für die kommunale Wärmeplanung aufzustellen.
Und während Deutschland - und bei Weitem nicht nur Deutschland - zum Teil skurrile Debatten darüber führt, wo denn nun beim Klimaschutz die Grenzen der Zumutbarkeit verlaufen, schafft die Krise selbst Fakten. Den Urlaubsflug nach Sizilien oder Griechenland wird wohl niemand verbieten. Aber was ist damit gewonnen, wenn hinter dem Rollfeld die Hitze, die Dürre und das Feuer warten?
Jedes neue Extremwetterereignis unterstreicht, dass die Auswahlmöglichkeiten nie hießen "Veränderung mit Klimaschutz" und "Alles bleibt, wie es ist". Viele Veränderungen sind längst unumkehrbar. Es wird nicht mehr, wie es früher einmal war, jedenfalls nicht in Zeitspannen, die Menschen erfassen. Und es bleibt auch nicht, wie es jetzt ist. Die Krise wird voranschreiten, die Frage ist nur, wie weit. Die Auswahlmöglichkeiten heißen deshalb "Veränderung mit Klimaschutz" und "Veränderung ohne". Und nur eines davon ist eine Chance.
Hinter allen Debatten um Heizungen, um Autos, um Privatjets, um Industrieemissionen ist das die gute Nachricht: Noch haben wir diese Entscheidungsmöglichkeit, noch können wir sicherstellen, dass wir auch in zehn oder 20 Jahren eine Wahl haben. "Intertemporale Freiheitssicherung" hat das Verfassungsgericht das in einem Urteil 2021 genannt. Oder einfacher: Retten, was zu retten ist.
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