All Stories
Follow
Subscribe to BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Amerikas Kulturkrieg
Leitartikel von Dirk Hautkapp

Berlin (ots)

Regierungen gehen mit Peitschenhieben und Gefängnis gegen Schwule, Lesben und andere Mitglieder der unter der Regenbogenfahne versammelten queeren Gemeinde vor. Zur Abschreckung werden Menschen, die abseits der Heterosexualität leben wollen, gesteinigt oder an Baukränen aufgehängt. Davon sind die Vereinigten Staaten von Amerika Lichtjahre entfernt. Im "Land der Freien", wo vor 50 Jahren Polizei-Razzien gegen Schwule und Lesben an der Tagesordnung waren, können nach langem gesellschaftlichen Kampf mit dem Segen des Obersten Gerichts Männer Männer heiraten und Frauen Frauen. Sie können Familien gründen, Kinder adoptieren und im Schutz des Gesetzes ihre Individualität leben. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere, und darauf zielt die bemerkenswerte Warnung der kanadischen Regierung vor Reisen zum südlichen Nachbarn ab: Noch nie war das gesellschaftlich-politische Klima für die queere Gemeinschaft so toxisch wie heute. Hass-Kriminalität, bis hin zum Mord, legt rasant zu. Dutzende Bundesstaaten, fast durchweg konservativ-republikanisch regiert, versuchen mit vielen legislativen Nadelstichen die Fortschritte der vergangenen Jahre zurückzudrehen. Es geht um Macht und Deutungshoheit.

Es geht um Ausgrenzung. Um den Versuch, unsichtbar zu machen, was das eigene Weltbild stört. Vor allem Transmenschen sind zur Zielscheibe geworden. Mögen sie in Kunst und Popkultur von der Sängerin Kim Petras bis zur Ikone des Kardashian-Clans Caitlyn Jenner auch auf dem Podest stehen und Erfolg haben, im Alltag haben Amerikaner, die mit dem Einmal-Mann-immer-Mann-(oder-Frau)-Schema nicht leben wollen, gerade in ländlichen Lebensräumen abseits der Metropolen zunehmend Schwierigkeiten.

So sehr, dass Menschenrechtler der Vereinten Nationen Alarm schlagen und von gefährlicher "Stigmatisierung" sprechen. Verantwortlich dafür ist eine in konservativen Kreisen salonfähig gewordene Rhetorik, die auf Verächtlichmachung und Herabwürdigung gründet und an den Umgang mit Afroamerikanern vor der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren erinnert.

Offen oder versteckt wird sexuellen Minderheiten pauschal eine kriminell-perverse Energie attestiert, die jugendgefährdend sei. Der Klassiker, der landauf, landab aufgerufen wird, geht so: Jungen gehen nach einer Geschlechtsumwandlung früher oder später auf die Damen-Toilette, um sexuell übergriffig zu werden. Das Phänomen ist weitgehend den Hirngespinsten von Tugendwächtern entsprungen, denen Fortschritte wie die Homo-Ehe ein Dorn im Auge sind.

Angefeuert von weißen Evangelikalen, die einen radikal-religiösen Absolutheitsanspruch pflegen, geben sich immer mehr republikanische Politiker bis hin zu Ex-Präsident Donald Trump als Stichwortgeber für einen Kulturkrieg her, der von den wahren Problemen ablenken soll. Es ist eben leichter, wie in Tennessee geschehen, Kostümshows mit "Drag Queens" wegen angeblicher Jugendgefährdung unter Strafe zu stellen, als endlich dafür zu sorgen, dass Kinder und Heranwachsende nicht Tag für Tag Opfer von Schusswaffen-Gewalt oder Fentanyl-Pillen werden. Die Frage ist, wo die Zuspitzung endet und wann die USA zur Vernunft kommen. Gewalt gegen Menschen, die nicht mit extrem konservativen Wertvorstellungen in Geschlechterfragen einverstanden sind, darf nicht hingenommen werden. Nirgendwo.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

More stories: BERLINER MORGENPOST
More stories: BERLINER MORGENPOST
  • 30.08.2023 – 19:09

    Berliner Morgenpost: Strom muss bezahlbar sein / Leitartikel von Jörg Quoos

    Berlin (ots) - Auf den ersten Blick ist es verkehrte Welt: Die Grünen machen Druck für einen günstigen Industriestrompreis, der liberale Bundesfinanzminister und auch der Bundeskanzler treten auf die Bremse. Ist Christian Lindner kein Industriefreund mehr? Ist der grüne Habeck jetzt der eigentliche Favorit der Bosse beim Thema Energie? Die oberflächliche ...

  • 30.08.2023 – 19:05

    Berliner Morgenpost: Bibliothek ist zu teuer für Berlin / Kommentar von Joachim Fahrun

    Berlin (ots) - 590 Millionen Euro. Das ist der Preis für die in einer idealen Welt durchaus charmante Idee, die Zentral- und Landesbibliothek endlich in der Mitte der Stadt zu konzentrieren. So viel Geld will der amerikanische Immobilienkonzern Tishman Speyer vom Land Berlin haben, um die Bücherei im Quartier 207, den heutigen Galeries Lafayette, an der ...

  • 29.08.2023 – 18:57

    Berliner Morgenpost: Angeschlagene Koalition / Leitartikel von Thorsten Knuf zur Ampel-Koalition

    Berlin (ots) - Eines muss man der Ampelkoalition lassen: Sie hat sich große Mühe gegeben, zumindest in den vergangenen Tagen. Ohne schwere Steine im Gepäck wollten der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz und seine Minister aufbrechen zu ihrer zweitägigen Klausurtagung im brandenburgischen Schloss Meseberg. Den monatelangen Streit über die Kindergrundsicherung ...