Berliner Morgenpost: Fall Madeleine - Interview mit den Eltern: "Im Moment haben wir große Hoffnung"
Berlin (ots)
Nachfolgend erhalten Sie den Volltext eines Interviews mit den Eltern der entführten Madeleine McCann. Gerry und Kate McCann wollen kommenden Woche nach Berlin kommen, um dort um Aufmerksamkeit für den Fall zu werben. Die Berliner Morgenpost hat dieses Gespräch am Donnerstag in Portugal geführt. Es erscheint in der Sonntagausgabe der Zeitung.
Auf Wunsch der Eltern stellen wir dieses Interview vorab in voller Länge zur Verfügung.
Kontakt bei Rückfragen: siehe unten.
Berliner Morgenpost: Haben Sie in den vergangenen Wochen Hoffnung geschöpft oder verloren? Gerry McCann: Das fluktuiert. In den ersten zwei, drei Tagen dachten wir in Minuten und Stunden, da waren wir sicher am verzweifeltsten. Kate McCann: Aber mittlerweile denken wir: Keine Nachricht ist eine gute Nachricht. Die Hoffnung wird jedenfalls nicht kleiner. Gerry McCann: Natürlich ist immer noch jeder Tag einer zuviel, aber es hilft, etwas zu tun.
Glauben Sie, dass Madeleine noch am Leben ist? Gerry McCann: Natürlich glauben wir das! Obwohl wir auch über das schlimmste Szenario nachgedacht haben - dass sie tot ist. Kate McCann: Jeder hat das in Betracht gezogen. Gerry McCann: Aber wir sprechen auch über Hoffnung, und solange es die gibt, geben wir nicht auf. Im Moment haben wir große Hoffnung. Die Ermittlungen sind in vollem Gange, tausende Menschen unterstützen uns.
Sie sind vergangene Woche in Rom vom Papst empfangen worden. Gerry McCann: Den Papst zu sehen, ist ein Höhepunkt für jeden Katholiken, obwohl Madeleines Entführung die Reise natürlich überschattet hat. Aber der Heilige Vater hat ihr Bild gesegnet und wird für sie beten. Das stärkt uns - und die Kampagne zur Suche von Madeleine.
Ihre Kampagne für Madeleine ist bisher ein gigantischer Erfolg: David Beckham hat zur Mithilfe bei der Suche aufgerufen, J. K. Rowling hat eine Belohnung für nützliche Hinweise ausgelobt, während des englischen Cup-Finales haben 500 Millionen Zuschauer Madeleines Bilder gesehen. Und jetzt hat sogar der Papst seinen Segen gegeben. Wie wollen Sie das toppen? Gerry McCann: Einen päpstlichen Segen kann man natürlich nicht toppen. Wir hätten nie gedacht, dass wir einmal in dieser Situation sein könnten.
Die Polizei in Portugal scheint hingegen bisher keine großen Fortschritte gemacht zu haben. Gerry McCann: Wir können uns zu den Ermittlungen im Detail nicht äußern. Es gibt eine riesige Zahl von Hinweisen. Es ist wahrscheinlich die größte Polizeiaktion der portugiesischen Geschichte. Ich glaube aber, dank der Hilfe von britischen Experten und des Einsatzes der portugiesischen Beamten läuft es mittlerweile so gut - oder fast so gut - wie möglich.
Was, glauben Sie, ist mit Ihrer Tochter geschehen? Gerry McCann: Wir haben über alle Szenarien nachgedacht, nicht nur über die wahrscheinlichen. Aber Spekulationen führen nur zu negativen Gedanken. Wir versuchen, nicht ständig darüber nachzudenken, wer sie hat und warum sie sie haben. Das einzige, was wir sagen können ist: Madeleine hat es nicht verdient, entführt zu werden. Niemand hat so etwas verdient. Es ist herzzerreißend für alle Beteiligten, und wir beten die ganze Zeit, dass sie wohlauf und in guten Händen ist.
Wie schaffen Sie es, nicht darüber nachzudenken, was Ihrer Tochter zugestoßen sein könnte? Kate McCann: In den ersten drei Tagen war es fast unmöglich, die negativen Gedanken weg zu schieben. Aber dann merkst du, dass du genau das tun musst, um weiter zu machen. Manchmal fühlen wir uns schuldig, weil wir nicht an sie denken. Normalerweise würden wir das ja die ganze Zeit tun. Aber es ist wichtig - für uns und für Madeleine - dass wir uns nicht in Pessimismus verlieren.
Werden Sie nie wütend? Kate McCann: Doch, wütend über die Situation, aber ich glaube, das ist Teil des normalen Trauerprozesses. Gerry McCann: Es ist, wie wenn bei einem Krebs diagnostiziert wird: eine Mischung aus Emotionen, eine davon ist Wut. Können Sie mittlerweile wieder essen und schlafen? Kate McCann: Ja. Die ersten Tage sind ohne Schlaf vergangen, aber ich glaube, das ist normal... Gerry McCann: ...da mussten wir uns auch zum Essen und Trinken zwingen. Mittlerweile fühle ich mich aber körperlich wieder ziemlich ok. Die Nächte sind immer die härteste Zeit. Wenn man ins Bett geht, denkt man mehr nach, aber meistens sind wir so müde, dass wir recht schnell einschlafen - es sei denn natürlich, die Kinder wecken uns (lacht zum ersten und einzigen Mal).
Wie geht es den Zwillingen? Gerry McCann: Es hilft wahrscheinlich, dass sie Zwillinge sind. Sean und Amelie wissen, dass Madeleine nicht da ist, aber die meiste Zeit verbringen sie zusammen oder mit anderen Kindern, da fehlt ihnen nicht so viel. Wir versuchen einfach, für sie zu funktionieren, ihnen die liebevolle Aufmerksamkeit zu geben, die sie brauchen. Jeden Morgen frühstücken wir mit ihnen und machen sie fertig für den Kinderclub. Dann sehen wir sie wieder zum Mittagessen und versuchen am Nachmittag, ihnen zumindest eine Stunde auf dem Spielplatz widmen. Manchmal müssen wir über Nacht weg und lassen sie bei nahen Verwandten, das ist hart, aber die Kampagne für Madeleine hat Priorität.
Mrs. McCann, zum ersten Mal haben Sie die Zwillinge für die Papstaudienz allein gelassen... Kate McCann: Es war schwierig. Aber es wäre selbstsüchtig gewesen, sie mitzunehmen. Sie sind erst zwei, die lange Reise und der Vatikan wäre einfach zu viel gewesen.
Die Frage, wie weit man seine Kinder allein lassen darf, wurde nach dem Verschwinden von Madeleine in Großbritannien sehr diskutiert. Haben Sie sich jemals gegenseitig die Schuld für Madeleines Verschwinden gegeben? Gerry McCann: Nein, niemals. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Kate die Schuld zu geben, weder bewusst noch unbewusst. Wir stecken da zusammen drin, als Paar. Wir sind sehr verantwortungsbewusste Eltern, wir lieben unsere Tochter über alles, aber keiner von uns hätte je gedacht, dass so etwas möglich ist. Trotzdem fühlen wir uns schuldig. Wir waren nicht da, als sie entführt wurde. Aber wirklich schuld ist nur die Person, die sie mitgenommen hat.
Was empfinden Sie, wenn Sie an diese Person denken? Gerry McCann: Ich habe keine Zweifel, dass das ein Akt des Bösen war. Kate McCann: Wir wissen, dass es da draußen böse Menschen gibt, aber es gibt auch viele Verzweifelte. Wir wissen nicht, um wen es sich handelt. Wir hoffen, um letztere.
Glauben Sie, dass Sie dieser Person irgendwann vergeben können? Gerry McCann: Mit dieser Frage werden wir uns auseinandersetzen, wenn wir sie gefunden haben.
Wie erklären Sie sich das unglaubliche Interesse am Schicksal Ihrer Tochter? Gerry McCann: Es liegt sicher an Madeleines Bild und daran, dass wir im Urlaub waren, an einem scheinbar so sicheren Ort. Vielleicht hat auch unser Versuch, Einfluss zu nehmen, dem Fall einen neuen Dreh gegeben. Nun hat die Geschichte auch Menschen erfasst, die uns gar nicht kennen. Dazu kommt die Unterstützung von sehr bekannten Leuten. Wir haben mittlerweile einen Fonds gegründet, wir haben ein Team von Rechtsberatern engagiert und suchen einen professionellen Manager für unsere Kampagne. Aber wir wissen, dass die Ermittlungen der Polizei das Wichtigste sind. Wir gaukeln uns nicht vor, dass die Kampagne uns Madeleine zurückbringt. Wir glauben nur, dass sie die Aufmerksamkeit für die Suche nach ihr erhöht.
Einige Menschen befürchten, dass die Kampagne eine Flut von unbrauchbaren Hinweisen auslöst, die die Arbeit der Polizei erschwert. Andere meinen, der öffentliche Druck auf den oder die Entführer bringe Madeleine in Gefahr. Gerry McCann: Wir sind uns bewusst, dass die Aufmerksamkeit nicht nur Vorteile hat. Aber wir sprechen alles, was wir tun, mit britischen Kriminalexperten ab, und die glauben, dass Bekanntheit die Suche nach Madeleine erleichtert. Kate McCann: Das letzte, was wir wollen, ist, Madeleine in Gefahr zu bringen. Aber wir wissen auch, dass der entscheidende Hinweis wahrscheinlich aus der Bevölkerung kommen wird.
Haben Sie sich auf den Tag vorbereitet, an dem die letzte Kamera vom Fall Madeleine abgezogen wird? Kate McCann: Wir wissen, dass es unvermeidlich ist ... Gerry McCann: ...die Berichterstattung in Großbritannien hat unsere allerkühnsten Erwartungen übertroffen. Wir wollen uns jetzt auf andere Regionen konzentrieren. Viele Deutsche und Niederländer machen Urlaub an der Algarve. Wir bitten alle, die zum fraglichen Zeitpunkt in der Gegend von Praia da Luz waren, um Hinweise bitten und darum, ihre Ferienfotos durchzuschauen: Wenn im Hintergrund Fremde zu sehen sind, könnten sie wertvoll für die Ermittlungen sein. Wir haben eine Webseite, wo solche Bilder hochgeladen werden können.
Was haben Sie nach den Reisen vor? Gerry McCann: Wenn die Suche sich noch über Monate hinzieht, müssen wir anders handeln als bisher. Spätestens dann brauchen wir einen professionellen Manager.
Wann wollen Sie nach Großbritannien zurückkehren? Kate McCann: Wir haben keine Pläne in dieser Hinsicht. Gerry McCann: Ich müsste erst zu dem Schluss kommen, dass die Ermittlungen in Portugal zu einem Stillstand gekommen sind. Davon sind wir momentan weit entfernt.
Wo glauben Sie, ist Madeleine gerade? Gerry McCann: Es ist sehr, sehr schwer. Doch wenn ich jetzt an sie denke, habe ich das kleine, drei, fast vier Jahre alte Mädchen vor Augen, wie sie lacht, wie sie spielt, wie sie herumläuft. Ich versuche nicht daran zu denken, wo sie jetzt ist.
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