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Märkische Oderzeitung: nachrichtliche Zusammenfassung sowie Auszüge aus einem Interview mit dem früheren polnischen Präsidenten Lech Walesa

Frankfurt/Oder (ots)

1. Nachricht:
Lech Walesa befürchtet erneuten Wahlsieg Kaczynskis
Frankfurt(Oder) (MOZ) Der ehemalige polnische Präsident Lech 
Walesa rechnet bei den vorgezogenen Parlamentswahlen, die in vier 
Wochen in seinem Land stattfinden, mit einem erneuten Erfolg des 
bisherigen Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski. Als Hauptursache nennt
er in einem Interview mit der in Frankfurt(Oder) erscheinenden 
"Märkische Oderzeitung" das geringe Interesse seiner Landsleute an 
der Politik. "Natürlich werde ich die Polen vor den Kaczynskis 
warnen, aber sie werden mich erst nach den Wahlen verstehen", sagte 
der Friedensnobelpreisträger wörtlich. Das politische Agieren des 
jetzigen Ministerpräsidenten und seines Zwillingsbruders, des 
polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, bezeichnet Walesa als 
"unappettitlich". Die Zwillinge nutzten "die Polizei, die 
Geheimdienste und andere Machtmittel in einer solchen Weise, die 
selbst gute Absichten kaputt macht". Zugleich räumte er ein, dass den
Kaczynskis zugute komme, dass die seit 1989 durchgeführten Reformen 
"für viele Menschen noch wenig spürbare Effekte" hätten. Mit ihrer 
antideutschen Rhetorik und dem Versprechen, denjenigen Polen an den 
Kragen zu gehen, denen es heute sehr gut geht, erzielten die 
Kaczynsksi vor allem Effekte bei Menschen, die die Entwicklung seit 
1989 verpasst hätten.
Walesa sieht die Kaczynskis auch als eine "Herausforderung, um zu 
neuen und klügeren Lösungen für Europa zu kommen".  Viele Politiker 
im Westen wollten immer noch, das alles so laufen so, wie in der Zeit
als Europa geteilt war.
Über das deutsch-polnische Verhältnis äußert sich der frühere 
Elektriker und Vorsitzende der Gewerkschaft "Solidarnosc" 
optimistisch. "Die Zeit, in der Polen und Deutsche um Ländereien und 
Grenzen kämpften, ist vorbei. Heute dominieren die Wirtschaft, der 
Handel und der geistige Austausch und zwar, weil sie aus gemeinsamen 
Interessen rühren. Ein Pole kauft sich einen Mercedes weil er das 
Geld dafür hat, und die deutschen Hersteller freuen sich darüber. Zum
ersten Mal in der Geschichte behindern wir uns nicht gegenseitig, 
außer einigen Politikern."
2. Wortlaut-Auszüge aus dem Interview
Märkische Oderzeitung: Halten Sie für möglich, dass Jaroslaw 
Kaczynski auch nach den Wahlen am 21. Oktober an der Regierung 
beteiligt sein wird?
Lech Walesa: Es sieht sogar ganz danach aus. Und es wäre nicht einmal
die Schuld Kaczynskis selbst. Sondern die Schuld der vielen Polen, 
die in einer solchen Situation nicht zur Wahl gehen. Ich glaube 
tatsächlich, dass diese Wahl noch keine entscheidende politische 
Veränderung in unserem Land bringen wird. Sondern erst danach wird 
die Erkenntnis reifen, dass man die politischen Fragen in unserer 
Zeit so stellen muss, dass sich wieder viele Menschen davon 
angesprochen fühlen. Wahrscheinlich werde ich selbst schon bald nach 
der Wahl damit beginnen, Leute zu gewinnen und ein Programm 
aufzustellen, mit dem man die Reformen in Polen vollenden kann.
Jaroslaw Kaczynski beruft sich oft darauf, dass die einfachen 
gläubigen Menschen in Polen - er nutzt dafür das Bild von den "Frauen
mit den Mützen aus Mohair-Wolle" - den Kampf seiner Partei für Recht 
und Ordnung begrüßen. Hat er damit Recht?
Es gibt bei uns eine Menge Leute, die die Entwicklung seit 1989 
verpasst haben. In solch stürmischen Zeiten des beginnenden 
Kapitalismus geht es ja auch ungerecht zu oder kriminelle Elemente 
nutzen sie für sich aus. Viele Menschen hofften lange, dass eine Zeit
zurückkehren würde, in der es wie im Sozialismus allen etwa gleich 
geht. Kaczynski verspricht ihnen jetzt eine Art zweiter Revolution, 
in der es denjenigen an den Kragen gehen soll, denen es heute sehr 
gut geht. Das ist eine Methode, mit der man ähnlich wie mit 
antideutscher Rhetorik bei manchen Leuten Effekte erzielt. Zumal es 
ja für Politiker in Polen heute wirklich nicht einfach ist, etwas zu 
verändern. Denn vieles wird von der Europäischen Union bestimmt. 
Solche Zeiten sind eher geeignet für Demagogen als für große 
Führungspersönlichkeiten.
Sie sprachen das Schüren antideutscher Gefühle durch die jetzige 
Regierung an. Wie können sich beide Länder aus dieser Situation 
befreien?
Schauen Sie einfach, wie viele deutsche Touristen hier durch Danzig 
spazieren! Achten Sie darauf, was sich in der Wirtschaft tut und wie 
viele Kontakte es auf der lokalen Ebene gibt. Natürlich ist es nicht 
schön, welche Töne die Regierung von sich gibt, aber sie kann doch 
nicht viel beeinflussen.
Die Zeit, in der Polen und Deutsche um Ländereien und Grenzen 
kämpften, ist vorbei. Heute dominieren die Wirtschaft, der Handel und
der geistige Austausch und zwar, weil sie aus gemeinsamen Interessen 
rühren. Ein Pole kauft sich einen Mercedes weil er das Geld dafür 
hat, und die deutschen Hersteller freuen sich darüber. Zum ersten Mal
in der Geschichte behindern wir uns nicht gegenseitig, außer einigen 
Politikern. Wir müssen nur verstehen, dass man in so einer Zeit auch 
gemeinsam neu denken muss.
Bei Verwendung bitten wir um eine Quellenangabe.

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Rückfragen bitte an:
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