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WAZ: Tom Cruise als Stauffenberg: Fehlbesetzung à la Hollywood - Leitartikel von Rolf Potthoff
Essen (ots)
Keine Apokalypse ist so apokalyptisch, kein Tod so heroisch, keine Romanze unter Rebellen in brutaler Diktatur so herzzerreißend wie die, die Amerikas Filmstudios schaffen. Wenn Pathos eine Heimat hat, dann ist sie jenseits des Atlantiks. Tom Cruiseist wie eigens für solche Rollen geboren.
Demnächst wird er in die Haut eines deutschen Mythos' schlüpfen. Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist das personifizierte "andere Deutschland", das aufbegehrte gegen Hitlers Regime. Am 20. Juli 1944 trug der Oberst eine Bombe in das Führerhauptquartier; sie sollte das Volk vom "Führer" befreien. Hitler überlebte. Stauffenberg wurde standrechtlich erschossen; gegen zahllose Mitverschwörer Todesurteile vollstreckt.
Nun Cruise als Stauffenberg. Wäre Cruise nur der Action-Star, dessen Glamour den Film zum Kassenschlager werden lassen soll - warum nicht? Wo bei der NS-Aufarbeitung dröge Geschichtsvermittlung in Wissenschaft und Schule versagte und eher Abstumpfung erwirkte, schaffte es Hollywood, Menschen gegen Unterdrückung und Willkür zu sensibilisieren. "Schindlers Liste" und"Holocaust" waren beredte Beispiele dafür.
Doch der Schauspieler Cruise bekennt sich klar zu den Scientologen, einer undurchsichtigen Organisation, die, wie Politiker und Sektenexperten sagen, Menschen unterdrücke und die viel Leid in Familien getragen habe. Dass der Verfassungsschutz Scientology in Deutschland beobachtet, kommt nicht von ungefähr.
Natürlich ist es Privatsache, was Mimen jenseits des Drehorts tun oder lassen; es muss Privatsache bleiben. Natürlich ist die Freiheit der Kunst ein - bitter erkämpftes - demokratisches Gut. Und eine Hexenjagd gegen "kommunistische Umtriebe" am Set wie weiland in der McCarthy-Ära ist mit unserem rechtsstaatlichen Freiheitsprinzip nicht zu vereinen. Doch muss ausgerechnet ein praktizierender Scientologe das Symbol des NS-Widerstands verkörpern? Es ist unsensibel und wirkt nicht nur auf die Familie Stauffenbergs wie eine Provokation.
Doch es ist Weiteres zu befürchten. Stauffenberg, führende Beamte und Militärs wollten beweisen: Deutsche selbst haben die Kraft, sich vom Nazi-Joch zu befreien. Doch ihr Ziel war ein Staat, der eher auf der konservativ-autoritären Tradition des Bismarckstaates als auf der Weimarer Republik beruhen sollte. Wenn Cruises Stauffenberg im pathetischen Hollywood zum glühenden Demokraten gerät, würde der Film zur Schnulze, die klittert, doch nicht historische Klarheit verschafft.
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