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WAZ: Auf Merkel wartet Innenpolitik: Die Kanzlerin ist zurück - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Angela Merkel ist viel auf Reisen gewesen. Ihre
verdienstvolle Tätigkeit in Europa und der Welt hat den Blick ein 
wenig vom Zustand ihrer Wohngemeinschaft weggelenkt. Inzwischen ist 
die Kanzlerin wieder zuhause in ihrer Großen Koalition, und dort 
sieht es ziemlich unordentlich aus.
Scherben liegen herum, und die Vorratsschränke, in denen die 
Gemeinsamkeiten aufbewahrt wurden, sind leer. Der Krach um den 
Mindestlohn, den Vizekanzler Franz Müntefering öffentlich ausgelebt 
hat, prägt die Stimmung, und es ist mehr als fraglich, ob die 
Kanzlerin noch einmal gründlich aufräumen kann. Im August begibt sich
das Kabinett in Klausur, um die Vorräte an Gemeinsamkeiten 
aufzufüllen. Viel dürfte dabei nicht zusammenkommen, denn die Große 
Koalition hat sich erschöpft. Union und SPD streben auseinander, 
obwohl sie sich nicht trennen können. In den Umfragen stehen die 
Sozialdemokraten weit schlechter da als die Union, und sie müssen 
sich täglich von Oskar Lafontaine und der Linkspartei angreifen oder 
verhöhnen lassen. Die Union konnte bislang gut von den 
außenpolitischen Erfolgen der Kanzlerin zehren, aber die Gipfel sind 
vorbei.
Erstens. Und zweitens könnten die Erfolge auch eine späte 
Nebenwirkung entfalten, weil die gewachsenen Erwartungen an Merkel 
eine beachtliche Fallhöhe erzeugt haben. In der Innenpolitik wird die
Kanzlerin nicht gleichermaßen glänzen können wie in der Außenpolitik 
und möglicherweise Enttäuschungen produzieren. Die SPD dagegen hat 
seit der Agenda 2010 vielleicht schon alle Enttäuschungen verteilt 
und scheint aus ihren Fehlern zu lernen.
Mit Mindestlohn und Kündigungsschutz gestaltet Müntefering, der 
Sozialdemokraten und Gewerkschaften mit der Rente mit 67 erschreckt 
hat, sein Ressort gerade gesellschaftspolitisch um. Im Arbeitsmarkt 
steckt enormes Potenzial für eine Wertedebatte mit sozialer 
Zielrichtung. Müntefering hat den Mindestlohn bereits zu einer Frage 
der Moral erhoben, und eine Mehrheit in der Republik stimmt ihm zu. 
Jetzt zeigen sich auch Chancen für die SPD, sich selbstbewusst von 
der Linkspartei abzugrenzen, und zwar in der Gewissheit: Die fordern 
nur, wir setzen durch.
Die heimgekehrte Kanzlerin wird sich ein Thema suchen müssen, mit
dem sie sich vor dem kommenden Wahljahr in der Innenpolitik 
profilieren kann. Als sie wegfuhr, reichte es noch, die 
Arbeitsteilung in der Wohngemeinschaft klug zu moderieren. Das hat 
sich geändert.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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