Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Atomdebatte: Explosives Gemisch - Leitartikel von Thomas Wels
Essen (ots)
Ein Störfall ist ein Störfall, und wenn er eintritt, dann zur Unzeit. Gleichwohl scheint in den Störfällen der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel der Genosse Zufall Regie geführt zu haben: Just, als sich die Manager im Vorfeld des Energiegipfels am Dienstag gegen die Klimapolitik der Bundesregierung mächtig aufpumpen, müssen die beiden Atomkraftwerke vom Netz. Sigmar Gabriel wäre nicht Sigmar Gabriel, würde er sich diese Gelegenheit entgehen lassen. "Mit Krümmel und Brunsbüttel haben wir gerade wieder erlebt, dass zwar deutsche Atomkraftwerke weltweit die sichersten sind, nur gelegentlich brennt's und knallt's halt." Der trifft, wo's weh tut.
Die Deutschen haben eine ordentliche Portion Grundskepsis gegenüber der Atomenergie. Und die Frage, ob die Akw abzuschalten sind oder ob ihnen eine Laufzeitverlängerung zu gewähren ist, hat enormes Wahlkampf-Potenzial. Die SPD hat mit ihrem Nein ordentlich Boden gut gemacht gegenüber den Grünen. Für die Sozialdemokraten ist die Debatte über den Störfall ein Glücksfall. Sie können mit Fug argumentieren, dass mit dieser Technologie die Zukunft nicht zu gestalten ist; sie können mit Recht darauf verweisen, dass nur ein apodiktisches Festhalten am Ausstieg den regenerativen Energien den nötigen Schub gibt. Das eröffnet Deutschland die Chance, sich als Exportweltmeister in einer enorm wichtigen Branche festzusetzen. Zumal zur Wahrheit über Atomkraftwerke auch gehört, dass diese keineswegs subventionsfrei sind. Die Versicherung übernimmt eine Schadensdeckung von 250 Millionen Euro, die im Ernstfall ein Klacks sind. Das Risiko trägt letztlich also der Staat.
Dennoch: Das Nein zur Verlängerung ist aus politischer Sicht nachzuvollziehen, aus ökonomischer nicht. Deutschland wird ohne Akw kaum sicherer, weil Frankreich oder England neue Kernkraftwerke planen. Gewichtiger ist, dass die Politik mit einer Verlängerung der Laufzeit Zeit gewönne für eine Umstellung auf umweltfreundliche Energien ohne Verwerfungen in der Industriestruktur. Die Politik muss nicht auf jede Drohung der Industrie hören. Regierungen sind gewählt, um Rahmenbedingungen zu setzen. Beinhalten diese aber widersprüchliche Signale wie die Einsparung von 40 Prozent Kohlendioxid bei gleichzeitiger Beendigung von CO2-freier Stromproduktion, ist Widerspruch legitim. Noch prallen die Interessen aufeinander, dabei gibt es kluge Vorschläge, den Konflikt zu lösen. Warum nicht die Hälfte der Erträge, die die Konzerne dank einer Laufzeitverlängerung einnähmen, kassieren, um sie in die Erforschung regenerativer Energien zu stecken?
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