Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Warnstreiks bei der Bahn: Aus der Spur geraten - Leitartikel von Wolfgang Pott
Essen (ots)
Hartmut Mehdorn, Vorstandschef der Deutschen Bahn, könnte seine strei-kenden Mitarbeiter für undankbar halten. Der Umbau vom trägen Staatsunternehmen zu einem einigermaßen rund laufenden Logistikkonzern hat bis jetzt ganz gut funktioniert. Stellenabbau gab es, aber keine Kündigungen. Das soll bis 2010 so bleiben.
Jetzt aber fordern die drei an den Streiks beteiligten Gewerkschaften mehr Geld und verweisen auf die Rekordgewinne der Bahn. Ein berechtigtes Argument. Mitarbeiter am Aufschwung zu beteiligen, ist richtig, verbessert die Motivation und die Identifikation mit dem Unternehmen.
Zukunftsorientierte Gewerkschaften müssen aber das gesamte System im Blick haben und sie dürfen nicht maßlos überziehen. Die Bahn ist trotz aller Fortschritte längst noch nicht so aufgestellt, wie es sich für einen modernen Logistiker gehört. Der Weg an die Börse ist noch lang. Ein wenig mehr Vertrauen in das Management täte gut.
Es ist ein altes Ritual, dass zu Beginn solcher Auseinandersetzungen die Forderungen der Gewerkschaften hoch angesetzt werden und die Unternehmensseite weit darunter liegt. In der Regel bewegen sich beide Seiten aufeinander zu und es kommt zu mehr oder minder verträglichen Einigungen. Dass die Gewerkschaften Transnet und GDBA sieben Prozent mehr Gehalt wollen, ist überzogen, in diesem Stadium der Streiterei jedoch nachvollziehbar. Mit der Forderung nach 31 Prozent mehr Lohn ist die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) allerdings aus der Spur geraten. Wenn Lokführer heute bundesweit den Aufstand proben, unterstreicht das nur, wie ernst es die GdL meint.
In dieser Forderung drückt sich aber auch ein internes Problem der Bahn-Gewerkschaften aus. Die sind sich nämlich untereinander nicht grün. Die Lokführer sind aus der Tarifgemeinschaft mit Transnet und GDBA ausgetreten. So kämpft jede für ihre eigene Klientel und muss umso hartnäckiger beweisen, dass deren Mitglieder die richtige Wahl getroffen haben.
Je länger der Streik dauert, desto mehr wird er sich negativ auf den Konzern niederschlagen. Pendler, die zu spät zur Arbeit kommen und Urlauber, die ihr Ziel nur über Umwege erreichen, unterscheiden nicht mehr zwischen Gewerkschaften und Management. Dann hat die Bahn als Gesamt-Konstrukt die Schuld und wird gemieden. Insofern kann beiden Seiten nur an einem schnellen Kompromiss gelegen sein.
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