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WAZ: Der Pflegereport Warum so schockiert? Wir wissen es doch - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Wenn der Körper nicht mehr will, wenn der Kopf die
Seele im Stich lässt, brauchen alte Menschen Hilfe. Doch um Hilfe zu 
bitten, haben unsere Eltern nicht gelernt. Sie haben gelernt sich zu 
quälen, bis es nicht mehr geht. Und wenn es nicht mehr geht, schämen 
sie sich statt zu klagen. Und wir schämen uns, weil wir ihnen nicht 
früher Hilfe aufgezwungen haben.
In Deutschland werden rund zwei Millionen alte Menschen gepflegt,
die meisten von ihren Angehörigen, die anderen im Heim oder von 
ambulanten Diensten. Das sind Menschen, die wir gut kennen, von denen
wir sehr gut wissen, wie es ihnen geht. Schließlich leben diese zwei 
Millionen nicht auf dem Planeten der Alten, sondern mitten unter uns.
Und doch verfällt unser Land jedes Mal in Schockstarre, wenn 
Statistiken belegen, was wir seit vielen Jahren wissen: Unsere Alten 
trinken zu wenig, sie liegen sich wund und überhaupt haben wir viel 
zu wenig Zeit für sie.
Leider braucht unsere parlamentarische Mediendemokratie 
Schlagzeilen wie diese, um überfällige Debatten voranzutreiben. 
Insofern kann der jüngste Pflegereport nur hilfreich sein für die 
anstehende Reform. Sie wird das letzte große Reformwerk dieser 
Regierung sein, und die Ansätze sind bisher nicht schlecht. Die 
Leistungen der Pflegekassen, die seit ihrem Bestehen eingefroren 
sind, sollen endlich die steigenden Kosten auffangen. Für 
Demenzkranke soll es mehr und gezieltere Hilfe geben. Und Angehörige 
sollen von ihrem Arbeitgeber frei bekommen, wenn sie ihre Angehörigen
pflegen.
Wie immer wird auch hier bei jedem Vorschlag reflexhaft nach der 
Finanzierbarkeit gefragt. Das ist grundsätzlich auch richtig so, nur 
haben wir an unseren Alten zu lange gespart, als dass sich eine 
Reform der Pflegeversicherung noch rechnen könnte. Lange genug haben 
sich alle miteinander etwas vorgemacht: Dass immer weniger 
Fachpersonal in den Heimen arbeitet; dass die besten Pflegerinnen 
aufgehört haben, weil sie nicht so helfen konnten, wie sie gerne 
wollten; dass Pflege wieder zum Armutsrisiko geworden ist - woran 
sonst soll das liegen als am fehlenden Geld?
Weder in Heimen noch bei den ambulanten Pflegediensten arbeiten 
mehrheitlich Misanthropen. Doch sie arbeiten sehr viel für sehr wenig
Geld. Das liegt auch daran, dass viele Hilfebedürftige von den 
Krankenkassen aus Spargründen in eine zu niedrige Pflegestufe 
eingeordnet werden. Dass ihnen nun ausgerechnet der Medizinische 
Dienst die Leviten liest, der die Stufen bestimmt, ist für die Heime 
von bitterer Ironie.

Pressekontakt:

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Telefon: (0201) 804-0
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