Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Studie: Kinder wollen Sicherheit Viele sind mutlos - Leitartikel von Birgitta Stauber-Klein
Essen (ots)
Die Diskussion um das Wohl des Kindes birgt in Deutschland jede Menge Zündstoff. Auf der einen Seite stehen die Bewahrer eines vermeintlichen Familienidylls, in dem Kinderkrippen und Schulen am Nachmittag als Verstaatlichung der Kindererziehung diffamiert werden. Damit einher geht ein starres Festhalten an einem Schulsystem, das nachweislich eher die soziale Auslese fördert als die benachteiligten Kinder.
Nun zur anderen Seite, die so gerne - ebenso diffamierend - von "Herdprämie" spricht, wenn es um einen finanziellen Ausgleich für die überwiegende Betreuung in der klassischen Familie mit Vollzeitverdiener und Hausfrau geht. Die obendrein lieber heute als morgen die gut funktionierenden Gymnasien abschaffen würde - aus dem diffusen Gefühl heraus, damit würden doch nur die ohnehin bevorzugten Mitglieder unserer Gesellschaft gefördert.
Nun hat mit dem Kinderhilfswerk World Vision endlich einmal ein jemand die Kinder gefragt, wie sie ihre Lebensumstände einschätzen, und siehe da: Am wohlsten fühlen sich Kinder, wenn sie Sicherheit haben. Wenn ihr Leben eine feste Struktur hat. Wenn ihre Eltern arbeiten und ihre Freizeit mit den Kindern verbringen. Kurz gesagt: Kinder wollen Zuneigung, stabile Familienverhältnisse und nicht zuletzt auch Geld. Kinder mögen ein möglichst bürgerliches, diffamierend: ein spießiges Leben. Und zwar lieber im Reihenhaus mit Garten als im Bauwagen, mag das unstete Leben für die Eltern auch noch so cool sein.
Die Studie von World Vision legt die Wunde offen: Kinder, die nicht zum Kreis der bürgerlichen, wohlsituierten Schicht gehören, die bei überlasteten allein Erziehenden groß werden und/oder bei resignierten Eltern, die durch ihre Dauerarbeitslosigkeit längst keine Struktur mehr in ihren Tagesablauf bekommen - diese Kinder erwarten von ihrer Zukunft wenig - weil die Gesellschaft ihnen wenig zu bieten hat.
Kinder aus unteren sozialen Schichten sind mutlos. Weil sie tatsächlich allein sind mit ihren Schwierigkeiten. Doch wer mutlos ist, hat keinen Antrieb. Und wer ohne Antrieb ist, hat keine Chance.
Wer über das Wohl von Kindern diskutieren will, muss sich mit dieser wachsenden Schicht von mutlosen Kindern auseinander setzen. Wenn Eltern es nicht schaffen, muss die Gesellschaft einspringen, und zwar mit aller Kraft. Das hat mit Verstaatlichung der Kindererziehung nichts zu tun. Sondern nur mit Chancengleichheit.
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