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WAZ: Zum Parteitag der SPD: Ein Fehler zur rechten Zeit - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Um die Zerrissenheit der SPD zu sehen, genügt ein
Blick ins Gesicht von Peer Steinbrück. Als Finanzminister ist er 
gegen Becks Abkehr vom Reformkurs. Doch als Parteivize ist er 
gewillt, der Basis Tribut zu zollen. Also zeigt er Verständnis dafür,
dass Beck die SPD aus dem Umfragetief holen will. Übersetzt heißt 
das: Die SPD macht einen Fehler. Aber es ist richtig, diesen Fehler 
zu machen, wenn das Volk es ihr dankt.
Becks Kurswechsel kann man geißeln, verstehen auch. Nur sollte 
man dem SPD-Chef in seinem Annäherungsversuch ans Volk nicht 
leichtfertig bescheinigen, dass er wirklich die Sorgen der Menschen 
aufgreift. Älteren länger Arbeitslosengeld I zu zahlen, ist populär 
und bezahlbar. Eine Milliarde tut Steinbrück nicht weh. Für die 
Betroffenen aber ist es nur eine Art Gnadenfrist, der das eigentliche
Problem innewohnt: Die Angst vor dem Absturz in Hartz IV. Das ist es,
was unsere Gesellschaft so aufwühlt.
Sieben Millionen Menschen in Deutschland leben von der 
Grundsicherung, und die restlichen 70 Millionen sehen jeden Tag, was 
das bedeutet. Ihre Kinder sitzen in der Schule neben Kindern, die 
kein Kakaogeld haben, und beim Bäcker hören sie alte Menschen nach 
Gutem von gestern fragen. Wollte die SPD sich wirklich der Sorgen der
Leute annehmen, müsste sie in Hamburg drei Tage lang über Hartz IV 
reden, über das Arbeitslosengeld II, über Kleidergeld und 
Schulbeihilfen für Hartz-Kinder. Doch sie redet über das 
Arbeitslosengeld I, also über ein paar Monate Aufschub. Damit führt 
sie wie die Union eine Scheindebatte.
Das hat seinen Grund: Mit Hartz IV haben beide Volksparteien 
einen Systemwechsel vollzogen, den das Volk bis heute nicht verdaut 
hat. Die alte Arbeitslosenhilfe sollte den Lebensstandard, Hartz IV 
nur noch die Existenz sichern. Es behandelt deshalb alle gleich. Wenn
Rüttgers und Beck es unfair finden, Ältere zu behandeln wie 
Schulabgänger, müssten sie mehr Arbeitslosengeld II für Ältere 
fordern. Das tun sie aber nicht, weil sie den Systemwechsel für 
richtig halten. Ein unpopulärer Standpunkt, von dem eine Debatte über
das Alg I prima ablenkt.
Merkel muss Beck nicht fürchten. Denn die Rolle des 
Volksverstehers hat sie bereits besetzt: Als "Mrs. Feelgood", wie das
US-Magazin "Newsweek" sie nennt. Dass sie als vermisste 
Regierungschefin ("Lost Leader") verspottet wird, die im Ausland 
glänzt und daheim nach Umfragen regiert, wird sie verschmerzen. Denn 
als Mrs. Feelgood lebt es sich besser denn als Leipziger Liberale.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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