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WAZ: Vertrag von Lissabon - Den Bürgern traut man nicht - Leitartikel von Knut Pries

Essen (ots)

Wer aus gegebenem Anlass den Lissabonner Vertrag zur
Hand nehmen will, sucht selbst bei den europäischen Institutionen 
vergeblich: Gedruckte Exemplare gibt es nicht. Frankreich will 
möglichst wenig Aufsehen, damit bloß keiner auf die Idee kommt, es 
handle sich doch um eine Art Verfassung, und Volksabstimmung 
verlangt. Wer wissen will, worum es geht, kann sich ja die knapp 300 
Seiten aus dem Netz ausdrucken. Der Bürger dankt.
Die Verrenkung passt zur Gesamtgeschichte dieses Unternehmens, 
das als stürmische Annäherung an "die Menschen" begann und mit einer 
kläglichen Flucht vor eben denselben Menschen endet. Es ist gar nicht
so schlecht, was heute in Lissabon von sechsundzwanzigeinhalb Staats-
und Regierungschefs unterzeichnet wird (der Brite Brown will nicht 
aufs Foto, signiert separat und solo, wenn die andern schon zu Mittag
essen). Aber die Regierungen trauen sich nicht mehr zu, den erzielten
Fortschritt überzeugend unter die Leute zu bringen.
Einmal werden sie den Phantom-Vertrag noch offensiv vertreten 
müssen: In Irland setzt die Verfassung der Flucht vor dem Bürger 
Grenzen, ein Referendum ist zwingend vorgeschrieben. Üble Erfahrungen
mit Abstimmungen (Dänemark, Niederlande, Frankreich) legen ebenso wie
die Umfragen nahe, Zustimmung nicht für ausgemacht zu halten.
Aber gesetzt, die abschließende Kraftanstrengung führt zum 
gewünschten Erfolg - wird die EU dann dank des neuen Grundrechts 
einen großen Schritt nach vorne tun? Das kann sein, muss hingegen 
nicht. Der Vertrag versucht, zwei Anliegen auszutarieren, die beide 
für sich genommen richtig und wichtig sind, aber in Spannung 
zueinander stehen: Einerseits soll die Union mit ihren zugriffigen 
Zentralstellen in Brüssel gehindert werden, die Politik immer weiter 
dem konkreten Bürger-Leben zu entziehen. Andererseits kann das kleine
Europa die globalen Zusammenhänge - vom Klima über den Handel bis zur
Sicherheit - nur beeinflussen, wenn es gemeinsam agiert. Hier 
brauchen wir mehr EU, dort weniger.
Für beides verbessert der Vertrag die Voraussetzungen, mehr 
nicht. Die nationalen Parlamente können den EU-Instanzen besser auf 
die Finger schauen, notfalls auch hauen. Für die Außen-Vertretung 
gemeinsamer Interessen werden tauglichere Werkzeuge zur Verfügung 
stehen, personell wie strukturell. Beides Mal kommt es auf den 
Benutzer an - auch mit dem besten Hammer kann man den Daumen so gut 
treffen wie den Nagel.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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