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WAZ: Wirtschaft beklagt Rückzieher - Politik im Retro-Look. Leitartikel von Ulf Meinke

Essen (ots)

Der "Retro-Look" wird von Autobauern,
Plattenproduzenten oder Mode-Designern kultiviert - und neuerdings 
auch von der Politik. Rezepte der Vergangenheit haben Konjunktur, 
sozialökonomische Theorien der 70er oder 80er Jahre etwa. Welcher 
Politiker spricht schon gerne von 2010, wenn damit immer gleich eine 
unpopuläre Agenda verknüpft wird? Politisch im Trend liegen die 
sanften Linien, nicht die scharfen Schnitte. Wären die Politiker 
nicht Politiker, sondern Mode-Designer, sie würden wohl derzeit vor 
allem flauschige Kamelhaarmäntel produzieren.
Nun hat ausgerechnet Otto Kentzler die "Retro-Politik" von Union 
und SPD attackiert. Das ist bemerkenswert, da Kentzler als 
Handwerkspräsident Spitzenrepräsentant einer Branche ist, die 
gemeinhin als besonders bodenständig gilt. "Die Retro-Politik sollte 
man den sozialistischen Nostalgikern der Linken überlassen", warnte 
Kentzler. Ähnlich äußerten sich Arbeitgeberpräsident Hundt und 
DIHK-Präsident Braun.
Leider hat es sich auch die Wirtschaft oft zu leicht gemacht, als
sie Reformen forderte, ohne dafür ebenso glaubwürdige wie 
verständliche Erklärungen mitzuliefern. Mit dem schlichten und 
abstrakten Hinweis auf die Globalisierung ist es eben nicht getan. 
Auch CDU, CSU und SPD sind zu einer Koalition der Getriebenen 
geworden. Sie lassen sich von Linken-Chef Lafontaine verführen und 
vorführen: Verführen, da sich die Volksparteien unter dem Druck von 
links zu einem Überbietungswettbewerb im Geldausgeben hinreißen 
lassen. Vorführen, da Lafontaine munter ein sozialpolitisches 
Hase-und-Igel-Spiel betreiben kann. Immer dann, wenn es um Wohltaten 
geht, kann er sagen: "Das haben wir doch lange schon gefordert."
Verantwortungsvolle Politik ist eben nicht, der Mehrheit immer 
nach dem Mund zu reden, sondern um Mehrheiten zu kämpfen, zu 
überzeugen. Es gilt zu erklären, dass nur verteilt werden kann, was 
zuvor erwirtschaftet wurde; dass der Marsch in den Schuldenstaat 
fatal ist; dass sich die heutige Generation nicht auf Kosten ihrer 
Kinder bereichern darf. CSU-Chef Huber, der nun die Wiedereinführung 
der Pendlerpauschale fordert, liefert nur ein Beispiel für eine 
Kurzfrist-Politik nach Maßgabe des Wahlkalenders. Auch bei der 
Rentenerhöhung hat die Große Koalition nicht gerade eine 
kommunikative Glanzleistung vollbracht. Kaum ein Rentner kann sich 
wirklich über die Mini-Erhöhung freuen, gleichzeitig wird ein "Kampf 
der Generationen" angezettelt. Die Politik dieser Tage, sie wirkt 
seltsam hilflos. Kurzum: irgendwie von gestern.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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