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WAZ: Volkszählung in Europa - Aus Gegnern wurden Befürworter. Leitartikel von Norbert Robers

Essen (ots)

Ein Aufschrei ging 1983 durch das Land - und das nur
wegen eines Fragebogens. Hunderte Bürgerinitiativen gründeten sich, 
mit Prominenten wie Forsa-Chef Manfred Güllner oder Günter Grass an 
der Spitze. Viele Bürger, durch die hitzigen Debatten über die 
Mittelstrecken-Stationierung, die Atompolitik und die Erweiterung des
Frankfurter Flughafens um die "Startbahn West" ohnehin auf Krawall 
gebürstet, riefen nach der Lektüre des besagten Fragebogens zum 
Boykott auf. Die geplante Volkszählung, die schließlich 1987 und nach
einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das 
Recht der Menschen auf "informationelle Selbstbestimmung" stattfand, 
erregte die Gemüter der Nation. 24 Jahre werden ins Land gegangen 
sein, wenn sich Deutschland 2011 an der europaweiten Volkszählung 
beteiligt. Mit Protesten rechnet diesmal niemand - nicht zuletzt weil
sich die Gegner von einst zu den Befürwortern von heute entwickelt 
haben.
Beispielsweise die Grünen-Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Damals war sie der Meinung, dass der Bürger nicht ausgehorcht werden 
darf. Heute ist sie neugierig auf die Zahlen aus Wirtschaft und 
Gesellschaft - die 1983 praktizierte "ideologische Kampfwelle" wäre 
heute nicht angemessen. Auch Bundes-Datenschützer Peter Schaar hat 
"nichts Grundsätzliches" einzuwenden gegen den Zensus. Der Begriff 
ist bewusst gewählt. Weil er präziser ist: Das Volk wird nicht mehr 
wie einst Kopf für Kopf gezählt - stattdessen wird von 
repräsentativen Daten aus Registern und Ämtern und einigen Millionen 
Fragebögen hochgerechnet. Zudem hat niemand ein Interesse daran, die 
Erinnerungen an den einst emotional belasteten Begriff Volkszählung 
auch nur ansatzweise hochkochen zu lassen.
Es gibt gute Gründe für eine Neujustierung des Datenmaterials. 
Die aktuellen Zahlen stammen von 1987 beziehungsweise 1981 
(Ostdeutschland) - ein vergleichsweise langer Zeitraum, in dem sich 
allein mit der Wiedervereinigung und den sich anschließenden 
Wanderungswellen vieles getan hat. Schätzungsweise 1,6 Millionen 
Menschen haben sich zudem bei der Ausreise aus Deutschland nicht 
abgemeldet.
Auch die Qualität der gefragten Daten wird niemanden umtreiben: 
Geschlecht, Familienstand, Geburtsort sowie einige Zahlen zum 
Immobilienbestand. Das war 1872, beim Internationalen Daten-Kongress 
in Sankt Petersburg, noch ganz anders: Seinerzeit lautete die 
Empfehlung, neben den persönlichen Daten gesundheitliche Probleme 
abzufragen - etwa Fälle von "Blödsinn" oder "anderen 
Geisteskrankheiten".

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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