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WAZ: Rentenstreit in der CDU - Die Bürger fragen - die Kanzlerin schweigt - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Eine gewisse Unschärfe kann vorteilhaft wirken.
Angela Merkel hat lange davon profitiert, dass die Republik sich vom 
politischen Gebrüll der Gerhard Schröders und Joschka Fischers 
erholen wollte. Ihre stille Ausstrahlung wirkte beruhigend, der 
Großen Koalition angemessen und im guten Sinne überparteilich. 
Zwischen Reformgeräuschen und Zumutungen hatten sich die meisten 
Menschen eingerichtet, unbequem zwar, aber dem von der Politik 
formulierten Prinzip ergeben, dass man sich erst bescheiden müsse, 
damit später alles gut werde.
Für Merkel, die vor allem auf der Weltbühne brillierte, war die 
erste Hälfte ihrer Amtszeit ein Erfolg. Im November aber zog sie eine
gefährliche Zwischenbilanz: "Der Aufschwung kommt bei den Menschen 
an." Schlagartig empfanden sehr viele Menschen, dass der Aufschwung 
bei ihnen nicht ankomme. Seither ist die Diskussion darüber in der 
Welt, und indem Merkel der jüngsten Rentenerhöhung zustimmte, 
erweiterte sie absichtslos die Debatte.
Nun steht das Thema "Gerechtigkeit" im öffentlichen Raum. 
Menschen haben sich in der Hoffnung auf bessere Zeiten eingerichtet 
und fragen jetzt: So nichtig fühlt sich der Aufschwung an? Was droht 
erst bei einem Abschwung? Die Mehrheit der Bürger reagiert 
verunsichert auf Studien, nach denen immer mehr Arbeitnehmer immer 
weniger verdienen, während die oberen Zehntausend immer mehr Vermögen
anhäufen.
Es ist kein Zufall, dass Merkels alte Rivalen jetzt gleichzeitig 
auftreten. Jürgen Rüttgers, Christian Wulff und Friedrich Merz 
verfügen über ein gutes Gespür für Unwuchten. Sie spüren, dass es in 
ihrer Partei eine Sehnsucht nach Orientierung gibt, denn mit Merkels 
Unschärfe geht auch ein schleichender Identitätsverlust einher. 
Gerhard Schröder griff die Identität seiner SPD mit der Reformpolitik
relativ gewalttätig an, in der CDU erodiert etwas. Noch kann die 
Vorsitzende vielleicht abwarten. Aber die Frage nach ihrem Standpunkt
wird lauter, insbesondere wenn sich der Eindruck verdichtet, dass der
Ministerpräsident von NRW zusehends den Kurs der CDU prägt.
In dessen Mindestrente für Geringverdiener verbirgt sich überdies
das hohe Risiko der Erkenntnis: Rüttgers will zwar die Altersarmut 
bekämpfen, nicht aber die Alltagsarmut. Hungerlöhne bis zur Rente 
nimmt er hin, erteilt sogar Unternehmen eine Art Freibrief: Zahlt 
ruhig schäbig, die (kleine) Rente ist sicher. Die SPD will mit 
anständig entlohnter Arbeit gegen Altersarmut vorsorgen. Was aber 
sagt Merkel zu dieser großen sozialen Herausforderung?

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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