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WAZ: Die Volksparteien in der Krise - Der Rost frisst sich durch - Leitartikel von Norbert Robers

Essen (ots)

Nichts ist leichter, als eine vermeintliche Krise
der Demokratie auszurufen. Die Meinungsforscher veröffentlichen seit 
Jahren und in regelmäßigen Abständen Umfrage-Ergebnisse, die den 
Frust der Bevölkerung dokumentieren: Derzeit, und diese Zahl ist 
relativ stabil, ist angeblich rund die Hälfte unzufrieden mit der 
Demokratie. Was lehrt uns diese Zahl? Dass es sich mehr denn je 
lohnt, genau hinzuschauen.
Denn die Deutschen sind weit weniger systemverdrossen, als die 
Daten nahelegen. Sie stellen unsere Staatsform nicht ernsthaft 
infrage. Im Gegenteil. Die Zustimmung zur Demokratie liegt seit 
Jahrzehnten oberhalb von 70 Prozent. Gleiches gilt für das Vertrauen 
in Personen beziehungsweise Institutionen: Drei Viertel der Deutschen
bauen auf die Zuverlässigkeit der Gerichte, des Bundespräsidenten 
oder der Polizei.
Weit kritischer äußern sich die Bundesbürger gleichwohl über die 
konkrete Ausgestaltung der Demokratie, über deren Funktionsfähigkeit 
- wobei die Zahlen im Osten Deutschlands noch weit schlechter 
ausfallen als im Westen. Fazit: Weniger die Demokratie steckt in der 
Krise, wohl aber schwanken die Regierung und die politischen 
Parteien. Dafür gibt es ein Bündel an Ursachen: etwa die anhaltende 
Bindungsschwäche aller großen Organisationen und der sich als 
unrealistisch erweisende Allzuständigkeits-Anspruch der Parteien. 
Hinzu kommen die zahlreichen "Eigentore" der Volksvertreter - 
Beispiel Diätensystem.
Dieser Befund ist allerdings keineswegs beruhigend. Schließlich 
sind die Parteien ein zentraler Bestandteil der Demokratie. Der 
stetige Vertrauensverlust wirkt wie Rost, der sich langsam, aber 
beharrlich durchfrisst. Waren es in den 90er-Jahren noch 75 Prozent 
der Bürger, die den Parteien Problemlösungen zugetraut haben, sind es
heute nur noch rund 50 Prozent.
Den Volksparteien läuft das Volk davon. Würden die Bürger am 
morgigen Sonntag an die Urnen gebeten - CDU und SPD würden im 
Vergleich zu 2005 rund 8,6 Millionen Wähler verlieren. Und wie 
reagieren die Großen darauf? Sie schütteln sich, zucken mit den 
Schultern und hoffen auf bessere Zeiten. Gute Zeiten für Demagogen.
In schöner Regelmäßigkeit unterstreichen die Parteien den 
Reformbedarf unserer Gesellschaft. Dabei sind sie es selbst, die 
unter dem größten Erneuerungsdruck stehen. An Ideen mangelt es nicht:
Schnupper-Mitgliedschaften, mehr Transparenz, Förderung von 
Seiteneinsteigern. Eine schnelle Umsetzung ist in unser aller 
Interesse.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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