Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Jugendliche und Kriminalität - Gewalt ist uncool - Leitartikel von Norbert Robers
Essen (ots)
Wer wissen will, was "die Deutschen" denken, der sollte sich eine längere Taxifahrt gönnen - oder an einen Stammtisch sitzen. Zwei Orte des Streits und der Wahrheiten, zwei Orte, an denen Mehrheitsmeinungen herbeigeredet werden. Beispielsweise zum Thema Jugend-Kriminalität. Eines der Mainstream-Urteile lautet: Es wird immer schlimmer. Zweitens: Die Ausländer laufen uns aus dem Ruder. Drittens: Man müsste wieder hart durchgreifen.
Auch in vielen Vorurteilen steckt auch eine Portion Wahrheit. Es ist beispielsweise nicht zu bestreiten, dass es bei einigen Delikt-Arten in den vergangenen Jahren teilweise bemerkenswerte Steigerungsraten gegeben hat, dass Jugendliche nichtdeutscher Herkunft partiell extrem auffällig sind, dass so manchem Schläger nur mit einer ruppigen Sanktionierung beizukommen ist.
Gleichwohl liegt mittlerweile die geballte Erkenntnis zahlreicher Kriminologen vor, die ein anderes Bild nahe legen. Erstens gibt es reichlich Belege dafür, dass die Straffälligkeit von Jugendlichen allgemein seit einigen Jahren zurückgeht. Zwei wesentliche Gründe dafür sind, dass immer weniger Jugendliche Gewalt im Elternhaus erfahren und gleichzeitig die Bereitschaft vieler Heranwachsender sinkt, Gewalt als Mittel der Selbstbehauptung oder der Konfliktlösung zu akzeptieren. Gewalt ist nicht immer, aber immer öfter uncool.
Eine traditionell heftig diskutierte Frage ist die, ob ausländische Jugendliche schneller zuschlagen oder häufiger klauen als deutsche. Die Antwort lautet: mal ja, mal nein. Die Münchener Polizei und Justiz berichten von einem Trend zu steigender Gewaltbereitschaft türkischer Jugendlicher. In Hannover verhalten sie sich dagegen zunehmend gesitteter, während die Forscher für Duisburg eine in etwa gleich hohe Kriminalitätsrate bei deutschen und nichtdeutschen Heranwachsenden konstatieren.
Dieser auf den ersten Blick verwirrende Befund ist relativ einfach zu erklären. Und zwar in einem Satz: Je früher Kinder aus Zuwandererfamilien in die Gesellschaft, vor allem in unser Bildungssystem integriert sind, desto besser lassen sich kriminelle Karrieren vermeiden. Bildung ist Ländersache, deswegen gibt es von Nord bis Süd erhebliche Erfolgs-Unterschiede.
Für Gewalt gibt es keine Rechtfertigung. Nie. Auf der anderen Seite gilt aber auch: Isolation, Vorurteile und Ablehnung sind der ideale Nährboden für Straftaten.
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