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WAZ: Merkels Krisenmanagement - Operation Vertrauen in Gefahr - Leitartikel von Ulf Meinke

Essen (ots)

Zugegeben: Der Fall Tietmeyer entscheidet nicht
darüber, ob die Große Koalition ihre historische Bewährungsprobe 
angesichts der weltweiten Finanzkrise besteht. Doch es wäre 
unpolitisch, den Eklat um den früheren Bundesbank-Präsidenten als 
bloße Fußnote der Zeitgeschichte abzutun. Denn die Vorgänge werfen 
Schatten auf das Krisenmanagement der Merkel-Regierung. Die Operation
Vertrauen, zu der die Kanzlerin aufgebrochen ist, gerät in Gefahr.
Bitter für Merkel: Bisher hat sie die Bundesregierung souverän 
durch die Finanzkrise geführt. Die dramatische Situation schweißt die
Große Koalition regelrecht zusammen. Parteipolitisches Klein-Klein 
passt nicht in eine solche Zeit. Die Zusammenarbeit zwischen der 
Kanzlerin, SPD-Finanzminister Peer Steinbrück und Vizekanzler 
Frank-Walter Steinmeier funktioniert nahezu reibungslos. Die breite 
parlamentarische Mehrheit, über die CDU, CSU und SPD verfügen, gibt 
der Regierung Spielraum für ihr Krisenmanagement.
Vertrauen ist die Währung, mit der die Politik handelt. Gerade 
deshalb ist die Panne, die Merkel unterlaufen ist, so brisant. Nur 
wenige Menschen durchschauen die komplexen Strukturen der 
internationalen Kapitalmärkte, doch Merkels Blamage im Fall Tietmeyer
ist auf den ersten Blick zu erkennen. Die Kanzlerin bittet Tietmeyer,
den Vorsitz eines Expertengremiums zur Finanzkrise zu übernehmen - 
und blitzt ab.
Tietmeyers Benennung sollte Teil der vertrauensbildenden 
Maßnahmen sein, doch sie bewirkte das Gegenteil. Wie konnte das 
passieren? War Merkels Beratern entgangen, dass Tietmeyer im 
Aufsichtsrat des angeschlagenen Immobilienfinanzierers Hypo Real 
Estate (HRE) sitzt? War ihnen nicht bekannt, dass er zuvor sogar 
mehrere Jahre lang die deutsch-irische Depfa-Bank kontrollierte, 
jenes Institut also, das den heutigen Mutterkonzern HRW beinahe 
ruiniert hätte? Sollte Merkel gewusst haben, dass Tietmeyer einen 
Sitz im HRE-Kontrollgremium hat, müsste man an ihren politischen 
Instinkten zweifeln. Wahrscheinlicher ist, dass die Kanzlerin 
schlecht beraten wurde, was ebenfalls peinlich ist.
Der Missgriff hinterlässt Kratzer an Merkels Image als Retterin 
in der Not. Viel hängt nun davon ab, ob die Kanzlerin einen 
geeigneten Ersatzkandidaten für Tietmeyer findet. Der künftige 
Regierungsberater sollte allerdings tatsächlich das repräsentieren, 
was die Regierung anstrebt: eine echte Reform der Finanzmärkte für 
eine menschliche Marktwirtschaft.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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