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WAZ: Nach dem EU-Gipfel - Auf dem Weg zu einem neuen Kapitalismus. Leitartikel von Knut Pries

Essen (ots)

Einen heilsamen Effekt hat die große Krise: Sie
konzentriert die Gemüter. Zwar hatte auch der jüngste EU-Gipfel das 
übliche Quantum Nonsens zu bieten: Die Polen zankten mal wieder 
untereinander um die Plätze am Gipfel-Tisch; der Italiener Berlusconi
nervte mal wieder mit der Idee, Russland in die EU aufzunehmen. Aber 
anders als bei mancher früherer Gelegenheit wurde dem Starr-, 
Schwach- und Eigensinn keine dominante Position eingeräumt.
Das Gezeter um den Maßnahmen-Katalog, den die EU-Schwergewichte 
erstellt und auf den Tisch gelegt hatten, verstummte so rasch, wie es
sich erhoben hatte. Warum waren wir nicht dabei, als dies ausgeheckt 
wurde? Darauf gab es einen herb-pragmatischen Bescheid: Wenn das Dach
des gemeinsamen Hauses einzustürzen droht, sind zunächst die mit den 
großen Muckis gefragt! Die mit den kleineren Muckis fügten sich.
Zuerst waren es die "G-4" Deutschland, Frankreich, Großbritannien
und Italien im Verein mit der EU-Geschäftsleitung, dann folgte auf 
Ebene der Finanzminister eine Verständigung im Kreise der G-7, 
unmittelbar danach die Absegnung durch die Regierungschefs der 
Euro-Staaten. Jetzt hat das EU-Kollektiv mehr oder weniger 
zähneknirschend gegengezeichnet, mit der Maßgabe, den Prozess noch im
November in einer Weltfinanzkonferenz zu globalisieren.
Mit Russland, China und Indien, mit den Schwellenländern, "mit 
den Golfstaaten und Singapur" (Steinmeier). Ohne viel Aufhebens wird 
en passant die gute (schlechte), alte G-8 zerkrümelt, der IWF 
renoviert und, wer weiß, nebenbei vielleicht sogar die Doha-Runde der
Welthandelsgespräche doch noch zum Abschluss gebracht.
Das Krisenbewältigungsszenario ist so atemberaubend wie die Krise
selbst. Seit der deutschen Einheit gab es nicht mehr soviel 
improvisierte große Politik. Nur ist viel unsicherer, was heraus 
kommt. "Neubegründung des Kapitalismus", sagt der Franzose Sarkozy. 
"Rückbesinnung auf die Tugenden der sozialen Marktwirtschaft", meint 
Luxemburgs Juncker. Das werden die Kapita-listen, denen in der Not 
auf einmal ganz rheinisch zumute ist, erst noch beweisen müssen. Was 
bisher auf den Weg gebracht wurde, ist keine soziale oder gar 
moralische Veredelung des Systems, sondern seine technische 
Reparatur. Es dient der Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit. 
Dass der Laden, wenn er wieder läuft, wieder stärker Richtung 
Gemeinwohl läuft, ist nicht mehr als ein vages Versprechen.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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