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WAZ: Suche nach NS-Verbrechern - Es kann nichts vergessen werden - Leitartikel von Gudrun Norbisrath

Essen (ots)

Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal
vergangen. Wir Deutschen wissen das, und leiden darunter. Die Einen, 
weil sie persönlich und qualvoll die Schuld empfinden, die auf 
unserer Nation lastet. Die Anderen, weil sie sich nicht lösen wollen 
von der fatalen Hoffnung, es müsse endlich alles vergeben oder 
wenigstens vergessen werden. Doch das ist unmöglich.
Ein alter Mann wird spät, am nahen Ende seines Lebens, 
beschuldigt: Er sei an einem Massaker an 60 jüdischen Zwangsarbeitern
beteiligt gewesen. Ein furchtbarer Vorwurf; wenn er sich als wahr 
erweist, kann der Mann verurteilt werden. Es würde bedeuten: 
lebenslänglich.
Die Hinrichtung geschah vor 63 Jahren. Der Mann war 26; kein 
halbes Kind mehr. Trotzdem lässt Menschlichkeit zögern, auf harter 
Strafverfolgung zu beharren. Der Mann hat sein Leben fast zu Ende 
gelebt, vielleicht ist er ein guter Vater, ein freundlicher Nachbar. 
Die Welt würde nicht besser, keiner kehrte ins Leben zurück, wenn er 
seines in Haft beenden müsste.
Menschlichkeit ist ein guter Ratgeber. Es ist aber keine 
unversöhnliche Rachsucht, die ein unnachgiebiges Urteil gebietet, 
sondern Vernunft. Die Verbrechen des Nationalsozialismus' sind 
unvergleichlich, für alle Zeiten bleiben sie mit uns, mit Deutschland
verbunden. Deshalb - nicht, um starren Gesetzen zu genügen - müssen 
diese Taten verfolgt werden, solange es überlebende Täter gibt. Und: 
In einem Deutschland, in dem es unfassbarer Weise Neonazis gibt, 
müssen die Strafen gegen alte Nazis so hart sein, wie das Gesetz es 
vorsieht.
Denn, doch: Es wird etwas besser, wenn die monströsen 
Grausamkeiten der Vergangenheit verfolgt werden bis heute, bis 
morgen. Wenn schon die Reue des Einzelnen nicht eingefordert werden 
kann, muss der Staat sich eindeutig zum Kampf gegen die 
nationalsozialistische Ideologie und ihre Taten bekennen. Alles 
andere wäre unerträglich.
Es geht um nicht weniger als um ein Prinzip: das Prinzip der 
Freiheit und der Demokratie. Deshalb ist es nachrangig, ob einer oder
100 getötet wurden. Obwohl die Menschlichkeit nun umgekehrt 
argumentieren könnte: mit der besonderen Brutalität eines Massakers. 
Das Prinzip verlangt Abscheu vor jeder Tat und ihre unnachsichtige 
Verfolgung. Dem müssen wir uns stellen.
Die Vergangenheit kann man nicht bewältigen. Sie erreicht uns, 
und reicht bis in die Zukunft.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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