Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Jugend und Rechtsextremismus - Mangelnde Bildung als Kernproblem - Leitartikel von Norbert Robers
Essen (ots)
Wer in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, der wird sich unweigerlich auch diese Frage stellen: Was ist nur mit unserer Jugend los? In Winnenden offenbart ein 17-jähriger Amokläufer eine tödliche Gefühlskälte. Infolgedessen berichten Kriminologen von einer bislang ungeahnten Qualität der Sucht nach Computerspielen, die in vielen Fällen Killerspiele mit einschließt. Und jetzt dies: Jeder siebte Jugendliche macht aus seiner Ausländerfeindlichkeit keinen Hehl, fast 12 Prozent neigen zu Rechtsextremismus und rund acht Prozent vertreten einen knallharten Antisemitismus.
Dass Heranwachsende den Erwachsenen Rätsel aufgeben oder sich zurückziehen - das ist nicht neu. Aber die aktuellen Nachrichten, so verschieden sie auch sind, haben eine außergewöhnliche Wucht. Hat sich die Jugend, zumindest ein Teil davon, etwa in eine von Gewalt durchsetzte Parallelwelt verabschiedet, zu der viele Väter und Mütter keinen Zugang mehr haben? Und hieß es bislang nicht immer, dass der intensive politische Aufklärungsunterricht an deutschen Schulen über Rechtsextremismus dafür sorgt, dass die Zahl der Sympathisanten im Promillebereich stagniert?
Erstens: Ja, dem Maß an Verführung halten zehntausende Jugendliche nicht mehr stand - die Mordgier am PC macht Schule. Zweitens: Es wäre ein grober Fehler, die aktuelle Studie des Bundesinnenministeriums über die politische Einstellung von Mädchen und Jungen als eine von vielen zu bewerten und auf die nächste zu warten. Die Ergebnisse sind beängstigend. Politiker, Lehrer, Wissenschaftler - die Gesellschaft insgesamt ist gefordert, sich über Konsequenzen Gedanken zu machen.
Die Studie gibt einen klaren Hinweis auf das Kernproblem: Bildungsarmut. Ausländerfeindliche und rechtsextreme Einstellungen sind an Förder- und Hauptschulen weit verbreiteter als an anderen Schultypen. Wobei gleich hinzugefügt werden muss, dass Intelligenz keineswegs allein über den moralischen Kompass entscheidet. Wissen hilft - aber es ist keine Versicherung gegen politische Verirrungen. Jugendliche brauchen vor allem das Gefühl, dass man sie ernst nimmt, dass man sich um sie kümmert.
Ohnehin gibt es nicht nur diesen einen Grund für den Drang nach rechts. Die Beurteilung der eigenen Zukunftschancen spielt eine ebenso große Rolle wie die individuelle Politikverdrossenheit. Nur noch 39 Prozent der Jugendlichen zeigen Interesse an Politik - dieser Wert ist seit Jahren rückläufig. In Zeiten wie diesen haben Extremisten vergleichsweise leichtes Spiel.
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