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WAZ: Kompromiss zur Spätabtreibung - Das ist das Minimum - Leitartikel von Birgitta Stauber-Klein

Essen (ots)

Sie sind kaum größer als eine Männerhand. Sie wiegen
800, manchmal nur 500 Gramm. Sie hängen an Schläuchen, 
Beatmungsgeräten. Ein Heer von Ärzten und Pflegern sorgt sich um das 
Überleben der Winzlinge, die viel zu früh, nach 28, 25 oder gar 23 
Wochen im Mutterleib geboren werden. Eltern harren Monate an 
Brutkästen aus. Wenn die Kinder überleben, dann oft genug schwer 
behindert.
Kinder, die im Mutterleib getötet werden, sind womöglich älter 
als die extremen Frühchen, die die Intensivmedizin auf Trab halten 
und im Schnitt den Krankenkassen 100 000 Euro wert sind. Der 
entscheidende Unterschied: Die Mutter wusste vor der Geburt, dass das
Kind krank sein würde. Wenn sie die medizinische Indikation bekommt, 
wenn klar ist, dass das Kind nach der Geburt stirbt oder dass es mit 
Behinderungen auf die Welt kommt, darf sie ihr Kind töten lassen. Sie
darf Ärzten erlauben, ihrem Fötus eine Kaliumspritze ins längst 
schlagende Herz zu jagen, damit das Kind die Abtreibung auf keinen 
Fall überlebt. Denn dann wäre es ein Fall für die Frühchenabteilung. 
Auch das ist schon passiert.
Ob es nicht würdevoller wäre (auch für die Mutter, sofern ihr 
Leben nicht in Gefahr ist), den natürlichen Tod des Kindes nach der 
Geburt zuzulassen; ob nicht doch die Behinderung ertragen, gemeistert
werden kann; wie schwer der Eingriff bei einer späten Abtreibung ist,
wie traumatisch er eine Frau verfolgen kann: Es gibt eine Menge 
Fragen, wenn werdende Eltern nach der Pränataldiagnostik mit der 
Krankheit des werdenden Kindes konfrontiert werden. Um sie zu 
beantworten, braucht es natürlich Zeit und eine umfassende Beratung. 
Das ist wahrlich das Mindeste.
Automatismen sind bei Spätabtreibungen völlig fehl am Platz. Es 
geht um Verantwortung, es geht um Ethik und Menschenwürde bei der 
Frage, wie die Tötung eines bereits so ausgewachsenen Fötus' zu 
bewerten ist. Mit einem generellen Angriff auf den § 218 - so lautet 
der Vorwurf von Alice Schwarzer - hat der geplante Zwang zum 
Innehalten und der Ausbau der Beratung jedenfalls nichts zu tun.
Der parteiübergreifende Kompromiss zur Spätabtreibung soll diese 
Verantwortung stärken und den Automatismus unterbrechen, dass nach 
der Diagnose die Abtreibung folgt. Nicht mehr, nicht weniger. 
Spätabtreibungen wird es weiterhin geben, weil Eltern Unterstützung, 
Durchhaltevermögen und Mut fehlen, um in dieser Gesellschaft ein 
behindertes Kind groß zu ziehen.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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