Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Fall der Mauer vor 20 Jahren - Das Ende eines Regimes. Leitartikel von Rolf Potthoff
Essen (ots)
Das böseste, zugleich bedenkenschwerste Wort zur Wiedervereinigung wird der damaligen britischen Premierministerin Thatcher zugeschrieben: "Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen, jetzt sind sie wieder da." Klarer lässt sich das Misstrauen gegen den Mauerfall kaum ausdrücken. Umso mehr hebt sich angesichts dieser historisch begründeten Bürde die Haltung der Supermächte, in Person von Bush senior und Gorbatschow, hervor: Sie vertrauten den Deutschen. Und es war Kanzler Kohl, der die Chance zur Wiedervereinigung erkannte, sie beharrlich verfolgte und vollzog. Das macht ihn zu einem großen Deutschen. Gleich, wie man zu ihm steht.
Und doch dürfen diese staatsmännischen Namen nicht blenden. Der Mauerfall wurde auf den Straßen, in Kirchen, bei Protesten und Demonstrationen in ostdeutschen Städten ertrotzt. Es war der Mut der Menschen, der Grenze, Schießbefehl und selbstgerechte SED-Ideologen bezwang. Wer in rechtsstaatlicher West-Sicherheit aufwuchs, kann die Courage, die es zur Auflehnung gegen ein Willkürsystem braucht, nie wirklich ermessen. Es beschämt, dass man im Westen so gut wie keinen Namen derer mehr kennt, die regimekritisch aufbegehrten, die Karriere, ja, auch ihr Leben riskierten.
Und heute? Trotz aller Schwüre der westdeutschen Nachkriegspolitik, die Einheit eines Tages zu vollenden, ist der Mauerfall im kollektiven ostdeutschen Bewusstsein elementarer verankert als hier. "Drüben" brach buchstäblich eine Welt zusammen, dass sollten "Westler" sich stets vergegenwärtigen, bevor sie gegenüber Ostdeutschen in Hochmut verfallen. Sogar im Sprachgebrauch, wie der Ostdeutsche betont, offenbaren sich trennende Brüche.
Leider stimmt es: Zu viel passt noch nicht zusammen: Es bekümmert, dass die Mehrheit im Osten unsere Gesellschaft für ungerecht hält. Es spaltet, wenn sich viele Ostdeutsche als Verlierer empfinden, so dass sie den SED-Staat als Hort der Geborgenheit verklären. Erst recht darf man nicht das DDR-Unrecht bemänteln und die, die Schuld tragen, aus der Verantwortung lassen. Unbelehrbare Ex-SED-Hardliner haben in demokratischen Parteien keinen Platz.
Doch denen, die die Mauer stürmten, ist Dank auch deshalb geschuldet: Am 9. November 1989 begann der Weg, der zur Einheit und so zur vollen Souveränität führte. Es wurde eine deutsche Nation, die sich fest ins europäische Friedensgeflecht einbindet - auch eine Premierministerin Thatcher hätte keinen Grund, Ängste zu spüren.
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