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WAZ: Das Hartz-IV-Urteil Staatswillkür, kein Rechenfehler - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Nein, das Verfassungsgericht hat Hartz IV nicht
gekippt. Es hat Rechenfehler festgestellt und nicht einmal bewerten 
wollen, ob Arbeitslose und ihre Kinder nun zu wenig Geld vom Staat 
kriegen oder nicht. Damit könnte man dieses Grundsatzurteil 
Grundsatzurteil sein lassen, ein bisschen nachrechnen und der Dinge 
harren. Genau das hat die Regierung offenbar vor. Gar fröhlich 
nannten sie das Urteil "begrüßenswert" und deuteten an, man könne ja 
anders rechnen, aber zum gleichen Ergebnis kommen.
Doch wer so redet, hat nicht richtig hingeschaut: Die 
Verfassungsrichter werfen der Politik nicht weniger vor als 
Staatswillkür. Sie habe bei den Hartz-IV-Geldern "ins Blaue hinein", 
ja "freihändisch geschätzt". Und das nicht in irgendeiner 
Quartals-Prognose, sondern beim geschützten Grundrecht auf ein 
menschenwürdiges Existenzminimum. Rechenfehler sind eben nicht immer 
ein verzeihlich menschlicher Makel. Der, freilich gespielte, 
Gleichmut, mit dem Unionspolitiker das Urteil kommentieren, ist 
ebenso schwer erträglich wie die Versuche der SPD, aus der 
höchstrichterlichen Abrechnung mit ihrer Jahrhundertreform auch noch 
Kapital zu schlagen.
Genug Grund zum Schämen liefert vor allem die juristische 
Aufarbeitung des Umgangs mit den Kindern. Der Staat, der ihnen 
eigentlich helfen müsste, ihren Arbeitslosenumfeld einmal zu 
entkommen, beraubt sie ihrer Lebenschancen. Das sagen einmal nicht 
linke Fundamentaloppositionelle, sondern die höchsten deutschen 
Richter. Und sie haben recht. Wenn sie nicht ohnehin in 
Problemvierteln aufwachsen, tragen Hartz-IV-Kinder in der Schule 
einen dicken Stempel auf der Stirn. Jeder weiß, dass ihre Eltern 
arbeitslos sind, spätestens, wenn die erste Klassenfahrt ansteht. 
Eine vergleichsweise reiche Wissensgesellschaft kann allein mit dem 
geistigen Kapital ihrer Bürger ihren Wohlstand halten. Doch 
untergräbt seit Jahren ihr eigenes Fundament, indem sie jedes vierte 
Kind schon in der Schulzeit abschreibt. Gleiche Bildungschancen 
kommen in jeder Berliner Fensterrede vor, nur nicht in der 
Wirklichkeit.
Dass die Richter diesen Punkt so sehr herausgestellt haben, macht 
zugleich deutlich, dass sich die Chancengleichheit der Kinder eben 
nicht allein an den Regelsätzen festmacht. Wahrscheinlich ist es 
sogar richtig, die Bildungsausgaben aus dem monatlich an ihre Eltern 
fließenden Betrag herauszuhalten. Nur muss der Staat dann auch dafür 
sorgen, dass Kinder in Hartz-IV-Haushalten das nötige Schulmaterial 
und wenn es sein muss, auch Nachhilfe erhalten. Das ist wichtiger als
ein höherer Regelsatz.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de

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