Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Merkel und der Tod der Soldaten - Der Anfang der Trauerkultur. Leitartikel von Dirk Hautkapp
Essen (ots)
In den Geschichtsbüchern der nächsten Generation hat der 9. April 2010 mehr als eine Fußnote verdient. Zum ersten Mal hat eine deutsche Regierungschefin Bundeswehr-Soldaten, die im Auslandseinsatz gefallen sind, die letzte Ehre erwiesen. Der Auftritt kam spät. Aber er war würdig.
Die Anwesenheit der Bundeskanzlerin bei der Beerdigung der drei am Karfreitag in Afghanistan getöteten Männer holt den seit acht Jahren währenden Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch endgültig aus seiner merkwürdigen Anonymität. Endlich. Lässt man einmal das politisch-taktische Kalkül der CDU-Chefin für einen Moment beiseite, dann zwingt Angela Merkels Trauerrede die Deutschen, ihre Rolle als bequeme Zuschauer, die aus der Ferne mit Fremdheit und Unbehagen auf die Schattenseiten des Militärischen blicken, zu überdenken.
Wollen wir uns weiter in der deutschen Tradition nach 1945 bewegen, die militärische Zeremonien, Symbole und Begriffe und somit auch das Totengedenken aus historisch guten Gründen latent als suspekt klassifiziert? Oder wollen wir anerkennen und akzeptieren, dass deutsche Soldaten, ob in Bosnien, im Kosovo oder jetzt in Afghanistan, im schlimmsten Fall den Tod finden bei dem Versuch, einer an einem friedlichen Zusammenleben mit brutalsten Mitteln gehinderten Bevölkerung im Einsatzland zu helfen? Dieses deutsche Selbstgespräch ist überfällig; mit allen Konsequenzen.
Den Fernseh-Bildern gefallener Ehemänner und Söhne und der um sie trauernden Angehörigen, die am Freitag aus dem niedersächsischen Selsingen in die Republik gesendet wurden, ist nachhaltiger Erinnerungswert zu wünschen. Ebenso dem Satz der Bundeskanzlerin: "Ich verneige mich vor ihnen. Deutschland verneigt sich vor ihnen." Angela Merkel hat gestern, ob gewollt oder ungewollt, eine Tür aufgemacht. Wer "menschliche Zweifel" hegt, ob der Afghanistan-Einsatz "tatsächlich unabweisbar" ist, der hat ihr Verständnis. Das waren ihre Worte.
Es ist nun an der Politik und den sie tragenden Wählerinnen und Wählern, wirklich gewissenhaft und abwägend zu prüfen, wie es mit den politischen Zweifeln steht - und wann es geboten ist, diese Mission wegen Unverhältnismäßig- und Erfolglosigkeit so ehrbar wie möglich zu beenden.
Jener öffentlich und unverstellt zu gedenken, die dabei ihr Leben lassen, ist keine Heldenverehrung, kein Opferkult und keine Verherrlichung des Militärischen. Es ist das Mindeste. Eine Geste der Menschlichkeit, die das Leid sozialisiert. Für den Augenblick.
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