Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Großschaden am Vertrauen - Leitartikel von Thomas Wels
Essen (ots)
Man könnte es Mut nennen und den Ausstiegsbeschluss als eindrucksvollen Beweis von Handlungsfähigkeit. Man könnte sogar unter Lernfähigkeit verbuchen, dass Schwarz-Gelb nach Fukushima seine sieben Monate alten Beschlüsse zum Ausstieg aus dem Ausstieg kassiert und sich mit Vollgas in die Kurve Richtung Energiewende legt. Das ist der Spiegel, in dem sich Merkel & Co gerne sehen würden. Doch zunächst einmal hat die Bundesregierung in der Wirtschaft einen enormen Vertrauensschaden produziert. Die Bundeskanzlerin hat ohne Rechtsgrundlage blank gezogen und sieben Altmeiler abgeschaltet, weil sie vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg Punkte sammeln wollte. Sie hat die Sorgen und Ängste der Deutschen zum Maßstab für Politik gemacht, obschon sich das Risiko der Atomenergie durch Fukushima keinen Deut verändert hat. Verlässlichkeit geht anders. Aber was soll's: Die Kanzlerin kann sich auf das Primat der Politik berufen, und sie wird darauf setzen, dass die Geschichte auch über diese Volte hinweggeht. Das Risiko ist aber enorm. Politisch wie ökonomisch. Denn der Schnellausstieg erfordert dringend den Ausbau der Stromnetze ebenso wie Investitionen in erneuerbare Energien und Gas-Kraftwerke, die nun zügiger zu stemmen sind als geplant. Das schlägt nicht nur auf die Preise der privaten Stromkunden durch. Stahl-, Alu- oder Chemieunternehmen gerade in NRW bangen um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Deutschen reagieren sehr empfindlich auf hohe Energiepreise: Ende 2007 war ihnen das Energiethema laut Allensbach sogar wichtiger als die Rente. Das könnte sich durchaus wiederholen. Und dann? Will's die Bundesregierung nicht gewesen sein.
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