Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Wulff in Stahlgewittern. Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Hätte Angela Merkel wissen müssen, von welcher Art ihr Kandidat für das höchste Staatsamt ist? Hätte sie nicht nur mit seiner Routine als Spitzenpolitiker rechnen müssen, sondern auch mit der Rückseite dieser Medaille, seiner außerordentlich bemerkenswerten Abgebrühtheit?
Krieg, Stahlgewitter - geht's noch? Für seine Entgleisungen gegenüber dem Bild-Chefredakteur hat Christian Wulff sich entschuldigt. Dass er danach auch noch auf den Springer-Vorstandschef losgegangen ist, hat er verschwiegen. Eine halbe Wahrheit mehr. Nun wird deutlich, dass Wulffs Entschuldigung nicht ernst gemeint war. Der Präsident hat ergo nicht nur ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, sondern auch ein taktisches Verhältnis zur Entschuldigung. Wie wenig es Wulff wirklich ernst gemeint hat, offenbart eine andere Geschichte. Der Präsident hat einen Reporter der "Welt am Sonntag" nicht nur eingeschüchtert, sondern dies in seinem Auftritt im Fernsehen auch noch verharmlost. Und er folgte dem selben Muster wie beim Bild-Chef: Intervention beim Chefredakteur, Intervention beim Vorstandschef und der Versuch, über die Kanzlerin an die Handy-Nummer von Friede Springer zu kommen. Es ist schier unglaublich. Unglaublich unsouverän.
Es zeigt sich: Wulff wähnt sich in einem Krieg mit den Journalisten, er sieht sich ohne mit der Wimper auch nur zu zucken in diesem Krieg als Opfer. Und er ist bereit, sich einzumauern. Ernst Jünger im Schützengraben im Ersten Weltkrieg, dieses Bild bemüht der Bundespräsident, um seinen Bediensteten zu erläutern, um was es aus seiner Sicht geht. Hätte Angela Merkel gewusst von den kostenlosen Urlaubsflügen zu den Ferienvillen von Wirtschaftsführern, für deren Belange er sich vehement eingesetzt hatte (Versicherungen), von den Flugzeug-Höherstufungen und so weiter: Sie hätte Christian Wulff nie als Bundespräsident vorschlagen dürfen, sie, die ein klares Gefühl hat, was in puncto Vorteilsnahme geht und was nicht.
Was man Merkel vorwerfen muss, ist daher von anderem Kaliber: Sie hat das Amt für sich abgehakt. Hauptsache, es funktioniert und macht keinen Ärger. Was man ihr vorwerfen kann, ist, dass sie sich in Wulff getäuscht hat. Heute ist sie mit Sicherheit klüger.
Fazit: SPD-Chef Gabriel bietet Merkel eine gemeinsame Lösung an. Natürlich ist das nicht frei von Taktik. Gleichwohl: Sie sollte annehmen. Als Chance für das Amt.
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