Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: 150 Leistungen, aber kein Plan. Leitartikel von Stefan Schulte
Essen (ots)
Deutschland schrumpft sich krank. Wir werden älter, kriegen zu wenige Kinder und tun alles dafür, dass es so bleibt. Geben mehr Geld für Familien aus als die meisten anderen Länder - erreichen aber weniger. 150 verschiedene Leistungen, unkoordiniert und nicht einmal einheitlich in den Bundesländern, verfolgen viele Interessen, aber keinen echten Plan. Deshalb versprechen deutsche Politiker in schöner Regelmäßigkeit, aus dem großen Durcheinander wenige, zielgenaue Leistungen zu machen. Doch auch diese Koalition macht wie ihre Vorgängerinnen das Gegenteil: Mit dem Betreuungsgeld schafft sie eine neue Leistung, neue Fehlanreize und neue Ungerechtigkeiten.
Kein Erziehungsgeld, kein Elterngeld und erst recht kein Betreuungsgeld lässt die Geburtenrate steigen. Geld darf auch kein Grund sein, sich für ein Kind zu entscheiden. Das einzige, was ein Staat tun kann, ist, diese Entscheidung zu erleichtern. Mit Krippenplätzen und einem Bildungssystem, das Frauen nicht vom Arbeitsmarkt aussperrt, wenn sie Mütter werden. So macht es Frankreich, so macht es Skandinavien - und es funktioniert. Doch diese einzige echte Hilfe bekommt unser Land nicht auf die Reihe. Es gibt Eltern einen Rechtsanspruch auf Kleinkindbetreuung ab 2013. Allein, was es bis dahin nicht geben wird, sind genügend Plätze.
Es braucht wenig Kombinationsgabe, um den Ausbau der Krippenplätze als oberstes Gebot der Stunde zu erkennen. Doch die Regierung quält uns mit Ideen für jene, die keinen Platz erhalten oder haben wollen. 1,2 Milliarden für eine Herdprämie aus dem Fenster zu werfen, ist die eine Sache. Schlimmer sind die Widersprüche, die sich daraus ergeben. Hartz-IV-Empfänger sollen das Geld nicht erhalten. Begründung: Arbeitslosen Geld fürs Zuhausebleiben zu geben, ist beschäftigungspolitisch nicht so sehr klug. Nur: Was ist dann klug daran, bayerischen Hausfrauen Geld fürs Dahoambleibn zu geben? Gleichzeitig wird die versteckte Botschaft des Elterngeldes verstärkt, das Arbeitslosen ebenfalls vorenthalten wird: Akademiker-Frauen sollen bitte mehr Kinder bekommen, Arbeitslose bitte nicht. Bewirkt hat sie nichts. Nur, dass der Sozialstaat gleichzeitig teurer und weniger sozial geworden ist.
Fazit: Weder Arbeitslose noch Arztfrauen brauchen Betreuungsgeld. Was das alternde Deutschland braucht, sind Kitas und Schulen, die jedem Kind die gleichen Chancen geben. Nur dann lernt die Gesellschaft, in Kindern armer Familien keine Belastung zu sehen, sondern die Zukunft.
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