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WAZ: Ein Jongleur für das Land - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Das größte Risiko für Hannelore Kraft ist die Selbstverständlichkeit, mit der sie als nordrhein-westfälische Regierungschefin wahrgenommen wird. Vor zwei Jahren musste sie noch in dieses Amt gedrückt werden, heute verfügt sie über einen dermaßen großen Amtsbonus, dass sie Ambitionen auf die SPD-Kanzlerkandidatur zurückweisen muss. Vielleicht halten die Genossen ihre "Stimmungskanone" (FAZ) ja für so unangreifbar, dass sie vergessen, sie zu wählen, fürchten Rote und Grüne, hoffen Schwarze und Gelbe. Wie es aussieht, hat der CDU-Herausforderer Norbert Röttgen der SPD-Regierungschefin nichts anhaben können. Dem berechtigten Hinweis auf die erdrückende Schuldenlast ist Kraft, ohne Schaden dabei zu nehmen, sogar offensiv begegnet. Sie hat einen Anekdoten-Wahlkampf geführt, der den intellektuellen Norbert Röttgen umso kälter und menschenferner aussehen ließ. Und dort, wo Kraft herzerfrischend offen auf ihr aufs Staatshandeln orientierte Weltbild hinwies (sicherstellen, dass alle Kinder in der Kita sind), reagierte die CDU so überzogen (das ist ja wie DDR), dass ihr Einwand wirkungslos verpuffte. Schließlich hatte Kraft ausgesprochenes Glück mit ihrem Gegenkandidaten. Röttgen leistete sich zahllose Fehler. Zuletzt musste er beim Euro öffentlich vor seiner Kanzlerin zu Kreuze kriechen, um sich danach von Wählern zu distanzieren. Gleich zu Anfang hatte er seine Partei mit dem fehlenden persönlichen Bekenntnis zu NRW demotiviert. Die erinnerte sich sofort an die gescheiterten Versuche von Norbert Blüm, Johannes Rau aus der Bundesregierung heraus abzulösen. Aber damals war Blüm immerhin noch der beliebteste Minister, und die Bundeshauptstadt lag in NRW. Ebenfalls zum Wahlkampf-Auftakt nahm Norbert Röttgen seinem Schulden-Thema jede Glaubwürdigkeit, weil er die CDU-Forderung nach Wiedereinführung von Studiengebühren an den Universitäten und Beiträgen für das dritte Kindergartenjahr persönlich kassierte, um, ausgerechnet als Umweltminister, eine höhere Pendlerpauschale zu fordern. Mehr Fehler kann man in kurzer Zeit eigentlich gar nicht machen. Schneidet die CDU am Ende so ab, wie es sich kurz vor der Wahl abzeichnet, wird sie ab Montag einen kompletten Neuanfang organisieren müssen. Kraft plus Löhrmann oder Kraft plus Laschet, so brachte es zuletzt die grüne Vize-Regierungschefin auf den Punkt. Sie kämpft um die zweite Stimme. Über Christian Lindner, den vielleicht besten Wahlkämpfer, der die FDP messerscharf abgrenzt von Roten, Grünen, Christdemokraten und Piraten, reden die anderen Parteien nicht, weil er ohnehin jetzt schon aussieht wie der nach Kraft zweite Wahlgewinner. Wer sollte ihm, der die FDP ins Leben zurückführt, danach aus dem Bürgerlichen Lager die Rolle des Oppositionsführers streitig machen? Ganz gleich, wer demnächst in Düsseldorf regiert. Er muss ein überschuldetes Land sanieren, in dem die Arbeitslosigkeit, gerade im Revier, höher ist als anderswo. Und er wird keine neuen Schulden machen dürfen, wegen der Gerichte und der Schuldenbremse, die der SPD-Finanzminister einst als "Selbstentmündigung" verhöhnte. Der nächste Ministerpräsident wird ein Jongleur sein müssen.

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