Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Jetzt haben die Bürger Klarheit - Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Hannelore Kraft, die Kümmererfrau von der SPD, hat über die CDU triumphiert wie Borussia Dortmund über Bayern München. Die Spitzenfrau aus dem Revier kann nicht nur Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland weiter regieren. Sie kann dabei, endlich keine Minderheitsregierung mehr, nicht nur auf eine stabile Koalition mit den Grünen bauen. Sie hat auch die Linkspartei, dieses Hartz-Vier-Trauma der SPD, aus dem Landtag herausgehalten. Aber: Von jetzt an muss Kraft tatsächlich auch liefern. Macht und Verantwortung sind schließlich die beiden Seiten derselben Medaille. In der "Koalition der Einladung", wie sie ihre Minderheitsregierung romantisiert hatte, konnte sie die Verantwortung eben auch bei anderen abladen. Sie konnte sich Mehrheiten mal bei der CDU, dann wieder bei der FDP oder eben auch bei der Linkspartei besorgen. Diese Zeit der Optionen ist jetzt vorbei. Für den Bürger ist das gut: Er bekommt mehr Klarheit. Klarheit hat jetzt auch die NRW-CDU. Darüber, dass der als Hoffnungsträger angetretene Bundesminister Norbert Röttgen definitiv der falsche Kandidat war. Zum zweiten Mal hat es die CDU mit einem Import aus der Bundespolitik versucht, zum zweiten Mal ist sie damit gescheitert. Entscheidend, das ist die Lehre aus diesem Debakel, ist eben nicht vermeintliche Prominenz, sondern Leidenschaft in der Sache, gepaart mit einer guten Portion Patriotismus. Beides hat Röttgen vermissen lassen, obwohl er aus NRW stammt und dort wohnt. Noch nie hat ein Kandidat für ein Spitzenamt in so kurzer Zeit so viele Fehler gemacht wie Röttgen. Kaum nominiert, hat er wissen lassen, sich erst noch überlegen zu wollen, im Falle einer Niederlage zur Landes-CDU zu stehen. Er hat seinen eigenen Sparkurs, sein Hauptthema im Wahlkampf, verraten, als er die Wiedereinführung von Studiengebühren ebenso kassierte wie Beiträge für das dritte Kita-Jahr. Gescheitert ist nicht nur der CDU-Landesvorsitzende, gescheitert auch der Mann, der Kanzler werden wollte. Mit einem solchen Debakel kann sich Röttgen alle weitergehenden bundespolitischen Ambitionen abschminken. Ja, er kann sogar froh sein, wenn er Umweltminister in Berlin bleiben kann. Röttgen weint, Christian Lindner lacht. Einem Wunderdoktor gleich hat er die Liberalen aus der Versenkung geholt. Der beste Rhetoriker von allen, mit klaren Botschaften gegen SPD, CDU, Grüne und Piraten, hat er geschafft, wozu wohl nur er in der Lage war und ist. Es ist die Rückkehr eines Hoffnungsträger, und FDP-Chef Philipp Rösler sieht nun ungefähr doppelt so alt aus wie er tatsächlich ist. Würde Lindner nun auch den FDP-Bundesvorsitz für sich reklamieren, es käme wohl zum Durchmarsch. Aber Lindner hat sich, anders als Röttgen, dem Land verschrieben. Mit Lust wird er die Liberalen in der Opposition führen. Und bei der Schwäche der CDU wird es nicht lange dauern bis klar ist, wer hier im Landtag der Oppositionsführer ist: eben Christian Lindner. Und Berlin? Angela Merkel wird nicht einmal zucken. Und sie hat gute Argumente, den Alleinverantwortlichen in Düsseldorf zu suchen. Verloren hat die CDU in NRW schließlich gegen den Bundestrend. Am Ende steht die Kanzlerin einmal mehr als Frau da, die mehr zu bieten hat als so mancher "ihrer" Männer. Angela Merkel ist eben ein anderes Kaliber als Norbert Röttgen. Jedenfalls ist "Mutti" ihren "Klügsten" einstweilen los.
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