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WAZ: Merkel geht. Oder auch nicht. Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Sachen gibt es, die kann man nicht brauchen, wenn man Bundeskanzlerin ist. Zum Beispiel die Spekulation darüber, wie lange man es noch ist. Weshalb kann, trotz naturgemäß instabiler Faktenlage, so ein Thema überhaupt dazu werden? Es liegt an der Dramaturgie und am Zeitpunkt. Angela Merkel wird derzeit als mehr oder weniger unangreifbar wahrgenommen. Das ist mindestens voreilig, bis zum Wahltag ist es noch lange hin, und allein die Anti-Euro-Partei könnte Schwarz-Gelb zum Ende verhelfen. Oder eine gar nicht einmal so unwahrscheinliche neue Euro-Krise im Sommer, diesmal nicht mit Zypern, sondern mit Italien oder Frankreich als Hauptdarstellern. Gleichwohl: Merkel sitzt im Moment felsenfest im Sattel, parteiinterne Konkurrenz gibt es, solange sich Ursula von der Leyen diesbezüglich zurückhält, nicht. Weil das so ist, beschäftigt ein neues, unerwartetes Szenario für das politische Ende der Kanzlerin naturgemäß die Fantasie. Wer gesehen hat, wie am Sonntagabend der Bundesumweltminister Altmaier, nach dem 2015-Rücktritt-Szenario befragt, herumgeeiert ist, weiß, welch ein Geschenk für die Opposition diese Diskussion ist. Vertrackt ist die Lage für das Regierungslager, weil Merkel sich kaum gegen solche Spekulationen - ganz in der Luft hängen sie nicht - zur Wehr setzen kann. Die für solche Fälle üblichen Sätze aus dem Pressesprecher-Baukasten sind allesamt interpretationsfähig, etwa: "Falls die Kanzlerin im September gewählt wird, tritt sie auch für vier Jahre an." Was heißt das schon? Zwei Jahre später könnte sie es sich ja anders überlegt haben. Andererseits: Wenn schon ein deutscher Papst gegen alle Gewohnheit und Erwartung zurücktreten kann, weshalb dann nicht eine deutsche Kanzlerin? Es wäre jedenfalls eine Premiere. Bislang konnten Kanzler in Deutschland nicht von der Macht lassen. Sie mussten abgewählt oder weggeputscht werden. Merkel hat sehr genau studiert, wie sich das politische Ende Helmut Kohls abspielte, sie war schließlich dabei. Sie mag es reizvoll finden, sich ein solches zwanghaftes Finale zu ersparen. Passen würde es nicht zu ihr, der Pflichterfüllungsfrau.

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