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WAZ: Wie staatsfähig ist der Islam? - Kommentar von Martin Gehlen

Essen (ots)

Spektakuläre Bürgerrevolten in der Türkei, dumpfe Friedhofsruhe im Iran zu den Präsidentenwahlen, eskalierender Kulturkampf in Ägypten - so unterschiedlich die Konflikte in den drei größten Nationen des Nahen Ostens erscheinen, so gemeinsam sind ihre Wurzeln. In der Türkei wollen sich die Menschen das autoritär Bevormundende ihrer frommen Herrscher nicht länger gefallen lassen. Irans politische Klerikerkaste kann eine junge, frustrierte Bevölkerung nur noch mit einem Polizeistaat in Schach halten. Und Ägypten teilt seit dem islamistischen Verfassungscoup ein tiefer Graben zwischen säkularen und frommen Einwohnern. Alle drei Staaten werden unter dem Banner des Islam regiert. Doch wie staatsfähig und demokratietüchtig ist der politische Islam? Wie tolerant und plural kann eine islamische Führung agieren, die sich in Politik, Kultur und Privatleben Allahs Wahrheiten verpflichtet fühlt? Bisher jedenfalls ist die Bilanz trübe. Nirgendwo hat der politische Islam bisher belegt, dass er für offene Gesellschaften und stabile demokratische Verhältnisse sorgen kann. Die Grenzen zwischen Staatsverantwortung und religiöser Agenda sind fließend. Die Bürger erleben das als permanente Invasion in ihr öffentliches Dasein und persönliches Leben. Erschwerend kommt hinzu, dass Machtbesitz in der politischen Kultur des Orients als Nullsummenspiel begriffen wird. Wer am Hebel sitzt, drückt den anderen so hart es geht an die Wand. Kompromisse existieren in diesem Denken nicht. Für die westlichen Staaten wird das Klima im Umgang mit diesen Staaten zweifellos unangenehmer, wollen sie weiterhin an der Seite säkularer Bevölkerungsteile dem wachsenden islamistischen Hegemoniestreben entgegentreten. Immer aggressiver verteufeln deren Protagonisten Grundwerte wie Pluralität, universale Rechte und tolerantes Kulturverständnis als westlichen Unrat. Eigene Mitbürger, die diese Werte hochhalten, sehen sich ins Gefängnis geworfen, vor Gerichte gezerrt oder als Spione denunziert. Dieses Sperrfeuer jedoch darf nicht irritieren. Egal ob Türkei, Iran oder Ägypten - der Kampf um das künftige Antlitz der Gesellschaften ist keineswegs entschieden.

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