Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Zum Wohle von Land und NRW. Kommentar von Thomas Wels
Essen (ots)
Nun beginnen also die Vorgespräche zwischen SPD und Union, begleitet von allerlei Rhetorik für die Galerie: Jetzt geht es darum, die Preise hochzutreiben. Das ist so verständlich wie normal. Ein besonderes Augenmerk muss dabei erstens Hannelore Kraft gelten, die den stärksten Landesverband der SPD vertritt und als Koordinatorin der SPD-Länder im Bundesrat in einer Großen Koalition am meisten Einfluss zu verlieren hat. Was wiederum ihrer Stimme in den Verhandlungen Gewicht verleiht. Und zweitens Horst Seehofer, der es bislang geschafft hat, für Bayern mehr rauszuholen als es den Stimmenanteilen der CSU entspricht. Dies könnte sich ändern, weshalb Seehofer mit der Maut für Ausländer und seinem strikten Nein zu wie auch immer gearteten Steuererhöhungen bajuwarisch dicke Pflöcke als Verhandlungspfänder in den Boden rammt. Der Polit-Fuchs spürt: Jetzt ist NRW am Zug. Schließlich hat die NRW-CDU mehr Sitze im Bundestag als die CSU. Und NRW-Regierungschefin Kraft hat es in der Hand, nicht nur für die SPD, sondern auch für das bevölkerungsreichste Bundesland viel herauszuholen. Was ist wohl besser für NRW und den Bund: Eine Blockade-Mehrheit bei wichtigen Fragen im Bundesrat oder die Besetzung des Verkehrsministeriums und sogar eines Energieministeriums mit Leuten aus NRW? Es ist deshalb kein Wunder, dass die Industriegewerkschaften auf eine Große Koalition dringen. Die Gewerkschaften wissen um die enormen Herausforderungen in der Energie- und Industriepolitik, sie fürchten um die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder. Und weil das ziemlich konkret ist, haben sie auch kein Verständnis für abgehobene Debatten, die zu ergründen versuchen, warum dieses Mal erst das vermeintliche Wohlergehen der Partei und dann erst das des Landes kommen soll. Wer weitere Argumente sucht für die Größe der anstehenden Aufgabe, kann die sich beim Bundesbankpräsidenten abholen: Von den Industrieländern wachse Deutschland bis 2030 am zweitlangsamsten, bis 2020 fehlten 1,5 Millionen Arbeitskräfte und 70 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung. Wer jetzt nichts tut, hat es bald mit neuen Verteilungskämpfen zu tun. Daran kann der SPD nicht gelegen sein.
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