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WAZ: Angekommen in der Wirklichkeit. Kommentar von Andreas Tyrock zur Wahl in Thüringen

Essen (ots)

Im ersten Wahlgang hakte es noch, am Ende blieb die Überraschung aber aus. Deutschland hat seinen ersten linken Ministerpräsidenten. Für viele Menschen im Osten, die unter dem SED-Regime gelitten haben, ist das ein schmerzhafter Tag. 25 Jahre nach dem Mauerfall müssen sie ansehen, wie die Linken endgültig salonfähig geworden sind. Und auch im Westen ist die Skepsis gegenüber Bodo Ramelow und seinen Genossen deutlich zu spüren. Die Emotionen sind verständlich. Zu sehr haben die deutsche Teilung und das Unrecht in der DDR das Leben von Millionen Menschen geprägt. Doch Politik ist nicht emotional, sondern rational. Politik ist das Beschaffen von Mehrheiten, nicht mehr und nicht weniger. Am Ende war die gestrige Wahl auch eine logische Konsequenz der Verhältnisse in Thüringen. Ministerpräsidentin Lieberknecht, aufgerieben im innerparteilichen Machtkampf einer zerstrittenen Landes-CDU, blieb bis zuletzt eine schwache Ministerpräsidentin. Die SPD ist in weiten Teilen Ostdeutschlands eher Splitter- denn Volkspartei. Derzeit taugt sie in Thüringen nur noch als Mehrheitsbeschafferin für die Linken - und im rot-rot-grünen Paket als Pilotprojekt für den Bund. Die SPD-Spitze um Sigmar Gabriel wiegelt zwar ab, aber auch das ist rational: Wie sollte er sonst reagieren? Was die CDU zuletzt in Hessen mit Schwarz-Grün auf den Weg brachte (und bisher geräuschlos funktioniert), findet in Thüringen auf dem rot-rot-grünen Spielfeld statt. Optionen werden getestet. Und hier muss vor allem die Linke nun ihre Regierungsfähigkeit beweisen. In der Opposition lässt es sich leicht kritisieren, lassen sich populäre Forderungen leicht aufstellen. Doch als Partei des Ministerpräsidenten sind Verantwortung und öffentliche Wahrnehmung etwas anderes. Ramelow und seine Genossen müssen liefern. Sie müssen sich den Realitäten stellen, in der Wirtschafts- und Bildungspolitik, vor allem aber mit Blick auf die Finanzen. Solidarpakt und Länderfinanzausgleich werden neu verhandelt, die Kommunen leiden unter immer neuen Herausforderungen, am Horizont droht die Schuldenbremse. Die Linken sind in der Wirklichkeit angekommen.

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