All Stories
Follow
Subscribe to Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

WAZ: Würde des Amtes zurückgebracht - Kommentar von Andreas Tyrock

Essen (ots)

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich noch nicht offiziell über seine Zukunft geäußert. Dennoch spricht sehr viel dafür, dass er seinen Verzicht auf eine zweite Amtsperiode bekanntgeben wird. Im Gespräch mit Gauck war zuletzt deutlich zu merken, wie sehr er mit der Entscheidung rang. Gauck liebt dieses Amt, es ist ihm Leidenschaft und Verpflichtung zugleich.

Er weiß um seine politische und gesellschaftliche Verantwortung, und er weiß, dass der Zeitpunkt eines Amtswechsels im Februar nächsten Jahres kaum ungünstiger sein kann. Drei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die wiederum als richtungweisend für die Bundestagswahl im Herbst gilt, besteht die große Gefahr, dass die Entscheidung über die Gauck-Nachfolge in den wahl- und parteitaktischen Strudel gerät. Dass es nicht um den richtigen Mann oder die richtige Frau geht, sondern um Stimmungen, um Optionen, um Machtkalkül.

Dabei stehen die Parteien auch in der Pflicht, das politische Erbe Joachim Gaucks zu bewahren. Nach den unglücklichen Amtsperioden seiner Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff hat Gauck die Würde des Amtes ins Schloss Bellevue zurückgebracht. Er ist ein hervorragender Bundespräsident, charismatisch und authentisch, angemessen im Auftreten, klar in der Aussage, zugleich versöhnlich und diplomatisch, wenn es der Anlass verlangt. Dass er sich trotz der parteiübergreifenden Unterstützung und trotz der großen Beliebtheit in Deutschland gegen eine zweite Amtszeit entschieden hat, verdient Respekt. Gauck ist 76 Jahre alt und wird auf dem Höhepunkt seines Ansehens gehen.

Dies alles macht die Nachfolge-Suche umso schwieriger. Es gibt Kandidaten, die geeignet und beliebt sind, die aber aufgrund der Wahltermine nicht durchsetzbar sein werden. Das gilt vor allem für Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Für ihn kommt die Bundespräsidenten-Wahl im Februar wohl ein Jahr zu früh.

Durchaus realistisch ist die Prognose, dass das nächste Staatsoberhaupt aus dem Ruhrgebiet stammt. Neben Finanzminister Wolfgang Schäuble werden dem Bochumer Norbert Lammert zu Recht gute Chancen eingeräumt, Kandidat der Union zu werden und sich im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit durchzusetzen. In der NRW-CDU heißt es immer wieder, Lammert habe schon Ambitionen auf die Köhler-Nachfolge gehabt und sei über den Alleingang von Angela Merkel hin zu Christian Wulff erbost gewesen. Er selbst würde dies natürlich nicht bestätigen. Auch äußert er sich derzeit nicht zu Spekulationen, sondern verweist auf Joachim Gauck. Es gebiete der Respekt, erst dessen offizielle Stellungnahme abzuwarten. Jede andere Antwort wäre auch falsch.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 - 804 6519
zentralredaktion@waz.de

Original content of: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, transmitted by news aktuell

More stories: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
More stories: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
  • 05.06.2016 – 18:48

    WAZ: Rechte Hetze gegen Andersdenkende - Kommentar Lutz Heuken zu Morddrohungen

    Essen (ots) - Da schaukelt sich seit Jahren etwas hoch: Tumber Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus toben sich im Internet hemmungslos aus. Gegen Andersdenkende, gegen Politiker, auch gegen Journalisten. Diskussionsforen, die diesen Namen wahrlich nicht verdienen, wirken da wie Brandbeschleuniger. Rechtsextremisten lesen, was Rechtsextremisten schreiben, ...

  • 05.06.2016 – 18:16

    WAZ: Der Wert der Sicherheit - Kommentar von Michael Kohlstadt

    Essen (ots) - Rund 95 Prozent aller 8500 Luftsicherheitsassistenten in Deutschland sind laut Branchenangaben mittlerweile bei privaten Sicherheitsfirmen beschäftigt. Es ist längst Alltag, dass die Passagier- und Gepäckkontrolle in privatwirtschaftlicher Hand liegt. Angesichts von Abermillionen Reisenden, die Jahr für Jahr die Terminals stürmen, kann von einem durch die Privat-vor-Staat-Mentalität nachhaltig ...

  • 02.06.2016 – 19:20

    WAZ: Nur im Ansatz messbar - Kommentar von Matthias Korfmann

    Essen (ots) - Jedes fünfte Kind in NRW ist auf Sozialleistungen angewiesen, und in manchen abgehängten Quartieren im Ruhrgebiet ist es sogar jedes zweite. Da liegt es nahe, über Vorbeugung nachzudenken. Wenn die armen und benachteiligten Kinder von heute nicht aufgefangen werden, werden sie später arme und benachteiligte Erwachsene sein. Je länger man mit der Hilfe wartet, desto teurer wird die "Reparatur" solcher ...