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WAZ: Parlaments- oder Kanzlerdemokratie? Wenn Männer Geschichte machen - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Selbst Richter am Bundesverfassungsgericht sind auch
nur Menschen. Und damit eitel; und weil meist männlich, bisweilen
eben doch arg bemüht, die eigene Bedeutung im Staatsganzen gleich
doppelt zu unterstreichen. Vielleicht erklärt das, warum der für den
Fall Schröder(s) entscheidende Richter Udo di Fabio in der Anhörung
eine besonders steile These aufstellte: es gehe um die Frage
Kanzlerdemokratie oder Parlamentsdemokratie. Geht es das wirklich?
Selbst, wenn man sich die Argumentation des Abgeordneten Schulz, der
gegen die Auflösung klagt, zu Eigen macht, „nicht das Parlament
kontrolliert den Kanzler, sondern der Kanzler kontrolliert das
Parlament”, so gilt dies doch nur für diesen einen, besonderen Fall.
Morgen ist dann schon wieder alles normal, was für den Kanzler, ganz
gleich welcher Partei er angehört, auch nur wieder heißt: reduziert
auf Normalmaß. Deutschland ist keine Kanzlerdemokratie, wird es auch
nicht sein, selbst wenn Karlsruhe Schröder Recht gibt. Der Kanzler
ist im Tagesgeschäft nicht mehr als: Erster unter Gleichen. Er ist
alles andere als frei, stattdessen in ein engmaschiges Netz von
Abhängigkeiten verstrickt. Hat er seine eigene Fraktion nicht mehr
hinter sich, ist er am Ende. Verliert er das Vertrauen der
Abgeordneten seines Koalitionspartners, ist ebenfalls Schluss. Erst
dann kommt der Bundesrat. Mit ihren Eigeninteressen verhindern die
Länder, dass, selbst bei gleicher „Farbe”, durchregiert werden kann.
(Sollte Merkel Kanzlerin werden, wird sie schnell merken, dass auch
ein schwarzer Bundesrat kein Abnick-Organ ist.) Deutschland ist so
sehr Parlamentsdemokratie, dass die Bürger den Kanzler nicht einmal
direkt wählen können – die erste Stimme gilt dem
Wahlkreis-Kandidaten, die zweite, mit der die Größe der Fraktionen
bestimmt wird, gilt der Partei. Schon allein darum sind auch
TV-Duelle im Kern allenfalls unterhaltsame Vorspiegelungen falscher
Tatsachen. Warum sagt dann aber der Verfassungsrichter di Fabio, es
gehe im Fall des Missver-trauens zu Schröder um Parlaments- oder
Kanzlerdemokratie? Nun: wer so große Entscheidungen trifft, der muss
auch ein großer Mann sein. Di Fabios Bemerkung war Marketing in
eigener Sache. Und PR für das Verfassungsgericht. Was zeigt: Richter
sind auch nur Männer, pardon: Menschen.

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