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WAZ: Angst der Deutschen auf Rekordniveau: So schwarz, wie wir es malen - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Die Deutschen haben es immer ein bisschen schwerer
als andere. Weil sie es sich immer ein bisschen schwerer machen.
Geschlagen mit kultivierter Empfindsamkeit, gefangen in tradiertem
Zukunftspessimismus neigen sie dazu, sich am Jetzt festzukrallen.
Weil sich der bundesdeutsche Wohlstand der 80er Jahre aber nicht
mumifizieren lässt, reißt die Wirklichkeit die Deutschen los, auf
dass sie fallen, in tiefe, tiefe Depressionen. Die Deutschen ziehen
sich selbst runter. Zwei von drei bangen um ihren Job. Ob begründet
oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Der weiche
Wirtschaftsfaktor Angst hat härteste Folgen. Die Hälfte der
Wirtschaft sei Psychologie, hat Ludwig Erhard einst gesagt. Wie Recht
er damit hatte, zeigt sich in Deutschland anno 2005. Zukunftsangst =
Kaufzurückhaltung = Nachfrageschwäche = Stagnation. Man kann es noch
einfacher ausdrücken und den Teufelskreis auf zwei Wechselwirkungen
reduzieren: Die Angst vor Arbeitslosigkeit erzeugt neue
Arbeitslosigkeit. Neue Arbeitslosigkeit erzeugt neue Angst. Die
Politik muss daraus den Umkehrschluss ziehen: Den Leuten die Angst zu
nehmen, ist das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit. Das ist freilich
weniger banal als es klingt. Denn dass sie morgen mehr Geld in der
Tasche haben, kann ihnen kein seriöser Politiker versprechen. Was
Politik aber versprechen kann und muss, ist eine Perspektive. Dafür
muss sie den Menschen sagen, was auf sie zukommt. Sie muss etwa den
35-Jährigen sagen, dass sie für ihre Rente privat vorsorgen und dass
sie länger arbeiten müssen, weil sie länger leben. Und sie muss der
gesamten Gesellschaft den Preis dafür nennen, dass sie älter wird.
Nur, wer den Preis kennt, wird einen Blick in sein Portmonee werfen.
Neue Reformen müssen keine neuen Ängste schüren. Die Mehrheit hat
erkannt, dass es ohne nur weiter rückwärts geht. Wollten die Leute
weiter mit Kamelle beworfen werden, stünde die Linkspartei nicht bei
8, sondern bei 80 Prozent. Das Problem ist, dass sie auch den anderen
Parteien nicht zutrauen, die Probleme zu lösen. Weil sie merken, dass
die ihnen auch nicht die ganze Wahrheit sagen. Wenn die nächste
Regierung es schafft, nach den Stimmen auch das Vertrauen der
Deutschen zu gewinnen, ist der Aufschwung nah. Wenn nicht, wird das
Land so schwarz, wie wir es malen.

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