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WAZ: Welches Blatt hat der Regierungschef?: Schröders Welt oder Kanzlers Zocken - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Schröder will also Kanzler bleiben. Aber kann er es
auch? Und wenn ja, wie? So schlecht ist Schröders Blatt nicht. Der
Kanzler hat Nerven. Er kann reizen, bluffen, hat im Repertoire, was
es braucht, um die anderen schwindlig zu spielen. Und er hat ein
persönliches Sendungsbewusstsein bis an die Schmerzgrenze; wenn er
sich, wie am Wahlabend, nicht im Griff hat, allerdings auch darüber
hinaus. Was aber, wenn alle Vermutungen dann doch nicht stimmen, wenn
Schröder nicht die falschen Ergebnisse in der Tasche gehabt hätte,
als er machtwillentriefend vor die Kameras trat, wenn nicht die
eigene Begeisterungsfähigkeit die Regeln der Mathematik außer Kraft
gesetzt hätte – welches Kalkül stünde dann hinter der dreisten
Ankündigung, weiter zu regieren? Wenn Schröder zur anderen Seite
guckt, sieht er eine angeschlagene Merkel. Schröder weiß, dass die
Bürgerlichen mit erfolglosem Spitzenpersonal mindestens ebenso brutal
umgehen wie seine Leute. Merkels Gegner bleiben ihr noch lange Zeit
erhalten, selbst wenn sie zur Fraktionschefin der Union gewählt
werden wird. Und dann die Grünen. Vor allem für die Basis wäre die so
genannte Jamaica-Koalition mit Union und Liberalen eine Idee von
Bekifften; Zeitgenossen, die ihre Sinne nicht beieinander haben. Gut,
Fischer und Künast könnten Minister bleiben. Aber die Basis müsste
dieses Bündnis absegnen, eines mit dieser schrecklichen FDP und dem
noch fürchterlicheren Westerwelle – aus politkulturellen Gründen kaum
denkbar. Schließlich die FDP: Partieller Wortbruch wäre angesichts
des Wahlresultats nicht das Problem schlechthin, wohl aber etwas
anderes. Würde Westerwelle zustimmen, er selbst machte die Grünen als
Koalitionspartner der Schwarzen salonfähig. Das käme Selbstmord auf
Raten gleich. Wenn also rote und schwarze Ampel eher unwahrscheinlich
sind und falls Schröder stark genug bleibt, eine große Koalition, die
nicht unter seiner Führung steht, gegen die eigenen Genossen zu
verhindern, dann bleiben nur: Neuwahlen. Wer die SPD von gefühlten 20
auf tatsächliche 34 Prozent hievt, der ist auch gut für 40 Prozent,
mag Schröder denken. Ein riskantes Spiel. Aber wenn es einen gibt,
der solche Sachen liebt, dann Schröder.

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