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WAZ: Junge Forscher bleiben nahezu kinderlos: Eine Frage der Perspektive - Leitartikel von Birgitta Stauber-Klein

Essen (ots)

Kind und Beruf: Beidem gerecht zu werden ist
anstrengend. Aber irgendwie schaffen es viele Frauen, manchmal auch
Männer – mit der Hilfe der Oma, mit einem der wenigen Krippenplätze,
mit einem rührigen Partner, einem verständnisvollen Arbeitgeber. Auch
mit dem Ertragen eines ständig schlechten Gewissens, nicht nur dem
Kind gegenüber, sondern auch den Kollegen.
Die Nachwuchswissenschaftler haben sich von diesen Sorgen gänzlich
befreit – weil es für sie schlicht unmöglich ist, ein Kind in die
Welt zu setzen. Familienpolitische Fragen wie Arbeitszeit,
Krippenplätze und Elterngeld sind für sie zweitrangig. Sollte es
daran mangeln, ließe sich, s.o., wohl auch improvisieren. Doch den
Forschern geht es schlicht um die Existenz: Da die eigene durch die
Aneinanderreihung von kurzen Zeitarbeitsverträgen und unklaren
Perspektiven so unsicher ist, kann die Verantwortung für eine andere
nicht übernommen werden. Ungeregelte Arbeitszeiten, unberechenbare
Überstunden im Forschungsbetrieb, auch mangelnde Unterstützung durch
die Vorgesetzten kommen hinzu. Es gibt wohl kaum einen Arbeitgeber,
der so schlecht für seine jungen, gut ausgebildeten Männer und Frauen
sorgt.
Unter diesen Bedingungen kann sich kein verantwortungsvoller
Mensch auf einen Lebensentwurf einlassen, der so auf Langfristigkeit,
Sicherheit und Beständigkeit ausgelegt ist wie die Gründung einer
Familie; die Kinderlosigkeit der Nachwuchswissenschaftler ist in
ihrer Radikalität eines der extremsten Symptome unserer alternden,
von schlechten Zukunftsperspektiven gebeutelten Gesellschaft. Wir
wissen nicht, was morgen ist, und so verzichten wir, halten nur noch
zusammen, was wir haben.
Daran können weder höhere Löhne, die ja doch unter dem Strich
marginal ausfallen, noch ein höheres Kindergeld oder gar ein
Elterngeld etwas ändern – so wünschenswert finanzielle Verbesserungen
sind. Die Menschen brauchen auch nicht unbedingt einen Arbeitsplatz
auf Lebenszeit, um eine Familie zu gründen. Doch sie brauchen
Perspektiven, die ihnen die innere Ruhe geben.
Gerade die Universitäten haben eine gesellschaftliche
Verantwortung. Wenn sie dieser nicht gerecht werden, wird irgendwann
der Nachwuchs ganz ausbleiben. Mit allen Folgen für den Standort
Deutschland.

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