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WAZ: Kommentar von Markus Günther: Die Fähigkeit zur Gnade

Essen (ots)

Mit Stanley „Tookie” Williams ist auch eine Hoffnung
gestorben. Es war die Hoffnung, dass ein Mörder, der im Gefängnis
eine grundlegende Wandlung durchlebt, Reue zeigt und zum Aktivisten
gegen Gewalt wird, Gnade erfahren könnte.
Jetzt ist die Hoffnung so tot wie Stanley Williams, und man sieht
einer bedrückenden Realität ins Auge: Die Todesstrafe wird in den USA
immer noch mehrheitlich befürwortet, und eine Abschaffung ist nicht
in Sicht. Gut 30 Jahre nach der Wiedereinführung der Todesstrafe in
den USA bleibt der Sachverhalt ganz und gar erstaunlich: Während sich
in fast allen Ländern der westlichen Zivilisation der Verzicht auf
die Todesstrafe durchgesetzt hat, fand ausgerechnet in der
vorbildhaften amerikanischen Demokratie der Rückgriff auf die krude
Vergeltungsjustiz der Vergangenheit statt.
Zu verstehen ist das kaum. Aber der Hinweis auf die in den USA
fest verankerte alttestamentarisch geprägte Gerechtigkeits- logik ist
sicher ebenso richtig wie der Blick auf das grundlegend andere
Verhältnis zu allen Formen der Gewalt, das Amerikanern eigen ist. Das
zeigt sich beim Waffenbesitz ebenso wie beim relativ unbekümmerten
Einsatz militärischer Gewalt.
Auch bei der Todesstrafe wirken Urinstinkte. Wie lässt sich das
ändern? Die Todesstrafengegner in den USA haben in den letzten Jahren
vor allem durch die Aufdeckung von Justizirrtümern versucht, die
Zustimmung zur Todesstrafe zu erschüttern. Doch vermutlich ist das
der falsche Weg. Denn damit werden ja nur die Fälle zum Skandal
erklärt, in denen ein Unschuldiger hingerichtet wird. Dort, wo ein
zweifelsfrei überführter Mörder zum Tode verurteilt wird, läuft diese
Kampagne ins Leere.
Man kann auch fragen, ob es klug ist, die fundamentalste Frage in
dieser Debatte zu diskutieren, also die Frage, ob der Staat ein Recht
hat, einen Mörder hinzurichten. Wenn man die Todesstrafe mit Mord
gleichsetzt, wird man zwar Beifall von denen bekommen, die ohnehin
gegen die Todesstrafe sind. Alle anderen aber wird man so nicht
überzeugen. Klüger ist es, diese Frage unbeantwortet zu lassen und
stattdessen ganz einfach das zu fordern, was sich jede zivilisierte
Gesellschaft schuldig ist: Die Fähigkeit zu Gnade und Vergebung, den
Respekt vor dem Leben, selbst dort, wo es das Leben desjenigen ist,
der andere ermordet hat.

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